Biographie Dr. Künzli

Biographie Dr. Künzli von Fimmelsberg

von Lars B. Stange

Die Familie väterlicherseits stammt aus der thurgauischen Gemeinde Fimmelsberg. Der Großvater Dr. Theodor Künzli war schon homöopathischer Arzt und führte eine Praxis in St. Gallen. Der Vater Dr. Max Künzli (1882-1925) praktizierte ebenfalls als homöopathischer Arzt. Er hatte sich bei Dr. Wassily (1868-1951) in Kiel homöopathisch fortgebildet. Leider starb er schon mit 43 Jahren.

Jost Künzli war das erste der vier Kinder, und auch er studierte Medizin – von 1934 bis 1941 in Zürich, Paris, Kiel und Berlin.

1941 bis 1945 Tätigkeit im Inselspital in Bern, zuletzt als Oberarzt.

In dieser Lebensphase suchte Dr. Künzli nach einer homöopathischen Ausbildung. Er erkundigte sich bei Dr. Stiegele im Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart und auch in Amerika. Von dort erhielt er den Hinweis auf Dr.Pierre Schmidt in Genf, bei dem er sich Ende 1945 bewarb.

In Pierre Schmidt fand er den Meister, der ihm in einer einjährigen intensiven persönlichen Schulung das Rüstzeug vermittelte, um die Homöopathie in der Nachkriegszeit in Europa und weit darüber hinaus zu einer neuen (wissenschaftlich fundierten) Blüte zu bringen.

Pierre Schmidt hatte seine Ausbildung bei den direkten Kent-Schülern Dr. A. E. Austin(1868–1948) und Frau Dr. F. E. Gladwin (1856–1931) in Amerika erhalten und diesen Impuls und das theoretische und praktische Rüstzeug an Jost Künzli weitergegeben.

Schon während seiner Ausbildung wurde Künzli Mitarbeiter bei zentralen Übersetzungsvorhaben P. Schmidts (Übertragung der 6. Auflage des Organon und auch Kents „Lectures on Homoepathic Philosophy“ ins Französische). Zudem kopierte er in dieser Zeit Kents Nachträge im Repertorium aus dessen Exemplar letzter Hand, das sich in Schmidts Besitz befand.

Beide widmeten sich der Herstellung von Q-Potenzen getreu den Hahnemann’schen Angaben in der 6. Organon-Auflage und betraten damit therapeutisches Neuland …

1947 ließ sich Künzli, der homöopathischen Familientradition folgend, in St. Gallen nieder.

Schon nach wenigen Jahren zunehmende Veröffentlichungstätigkeit. Ab 1957 Mitbegründer der „Zeitschrift für klassische Homöopathie und Arzneipotenzierung“, der er auch als Mitherausgeber bis 1973 dient und in der viele seiner Artikel und Kommentare erschienen sind.

Diese Zeitschrift war und ist Ausdruck und zugleich treibende Kraft für die zunehmende Orientierung der homöopathischen Ärzteschaft in den deutschsprachigen Ländern Europas in Richtung einer „Renaissance“ der Einzelmittelhomöopathie, die, der Lehre Hahnemanns und Kents verpflichtet, das Verfahren der Repertorisation zum Bestimmen des angezeigten Mittels und die Gabe von Hochpotenzen zu ihrem Handwerkszeug zählt.

Ab 1962 unterichtete Künzli in St. Gallen, später in Frankfurt, und von 1973 bis 1986 fanden die legendären „Spiekerooger Wochenkurse“ unter seiner Leitung, zusammen mit den Kollegen Dr.Tiedemann und Dr.von Ungern-Sternberg auf der ostfriesischen Insel statt.

1973 legte Künzli die Kent’sche „Philosophy“ unter dem deutschen Titel „Zur Theorie der Homöopathie-Vorlesungen über Hahnemanns Organon“ als Übertragung der französischen Fassung (Pierre Schmidt) vor und machte damit ein wichtiges Standardwerk zum ersten Mal in deutscher Sprache zugänglich.

Von 1974 bis 1978 gaben die Kollegen Dr.Horst Barthel und Dr. Will Klunker das dreibändige (und dreisprachige!) „Synthetische Repertorium“ mit den Bereichen Allgemeinsymptome, Geistes-und Gemütssymptome und Schlaf, Träume, Sexualität heraus als Ergänzung des Kent´schen Repertoriums. Ein Meilenstein der Erneuerung!

Hier finden sich zahlreiche Mittel-Nachträge aus der klassischen Literatur und von zeitgenössischen Kollegen, ein großer Teil ist von Künzli nachgetragen und aus eigener Erfahrung zugefügt. Alle Nachträge sind mit Quellenangaben versehen, ein Novum in der Geschichte der Repertorien und ein großer Schritt zu mehr Wissenschaftlichkeit in diesem sensiblen Bereich. Die Herausgeber widmeten das Werk „Dem Meister und Lehrer der Homöopathie Hahnemanns Dr. med Künzli von Fimmelsberg, St. Gallen“.

Seit 1977 bis ein Jahr vor seinem Tod hielt Künzli in einem Zwei-Jahres-Zyklus Vorlesungen über Theorie und Praxis der Homöopathie in den Räumen der Universität Zürich, leitete ein Ambulatorium mit mehreren Ärzten und hielt ab 1986 regelmäßig Supervisionen.

1986 bis 1989 übergab Künzli (Herausgeber: Dr. Michael Barthel) „Kents Repertorium Generale“ der Fachöffentlichkeit, das Werk, das er durch jahrzehntelange akribische Arbeit sorgfältig vorbereitet hatte: es umfaßte die Nachträge (mit Quellenangaben) von 72 Autoren ab Hahnemann nebst seinen persönlichen „Künzli-Punkten“-Anmerkungen aus seiner langen Praxis, die auf Rubriken oder einzelne Mittel hinwiesen, die sich ihm für eine erfolgreiche Verordnung hilfreich erwiesen hatten.

Diese „Künzli-Punkte“ haben sich seitdem für viele Berufsanfänger (den Autor eingeschlossen), aber auch Erfahrenere als sehr nützlich erwiesen, wie Navigationspunkte im großen repertorialen Meer der Symptome und Rubriken …

Schon einige Jahre hatte Dr. Künzli die Integration des Repertoriums „Boger- Bönninghausen“ in den Kent als notwendigen Schritt erkannt und Vorbereitungen zu dieser Arbeit eingeleitet. So entstand unter seiner Führung eine Arbeitsgruppe von Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland, die sich 1990 in St. Gallen trafen und in mehrtägiger Arbeit Kapitel für Kapitel alle kompatiblen Nachträge bestimmten und fixierten.

Diese Arbeit floß dann in das „Complete Repertory“ ein und ist damit heute jedem Praktiker zugänglich.

Nach schwerer Krankheit verstarb Dr. Künzli in St. Gallen am 5. April 1992.

Lars B. Stange 2015
Copyright Karl F. Haug- Verlag Stuttgart, mit freundlicher Genehmigung
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