Wissenschaftliche Arbeiten aus der Künzli-Schule

Geschichte der Homöopathie in den USA im Hinblick auf James Tyler Kent

Dr. Heike Kron

  1. Die Anfänge der Homöopathie in den USA

Im Jahre 1898 gab es in den USA 20 homöopathische Colleges, 140 homöopathische Krankenhäuser, 57 homöopathische Apotheken, 31 homöopathische Zeitschriften und mehr als 100 homöopathische medizinische Gesellschaften. [25] 12.000 Menschen nannten sich homöopathische Ärzte. [26] Dabei war die Homöopathie erst im Jahre 1825 durch Hans Burch Gram, einen Amerikaner mit dänischen Wurzeln, in die USA gekommen. Gram hatte in Kopenhagen studiert, lernte dort die Homöopathie kennen und brachte sie nach New York. [27]

Was hat diesen Aufschwung der Homöopathie im 19. Jahrhundert in den USA bewirkt? Wieso gerade dort und zu dieser Zeit? Und warum brach diese Homöopathiebewegung im 20. Jahrhundert wieder zusammen? War es überhaupt „echte“ Homöopathie? Oder war es mehr Schein als Sein? Welche Faktoren liegen diesem Auf und Ab der Homöopathie in den USA zugrunde, und welche Rolle spielt James Tyler Kent in diesem Geschehen? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.

1828 begannen der deutsche Arzt William Wesselhoeft (1794-1858) und der Schweizer Arzt Heinrich Detwiller (1795-1887) in Pennsylvania, homöopathisch zu behandeln. Der deutsche Arzt Ernst Stapf hatte die beiden mit Anweisungen und Literatur versorgt, die er ihnen zusandte. Danach wanderten mehrere homöopathisch arbeitende Ärzte in die USA ein. [28]

Ein weiterer Wegbereiter der Homöopathie in den USA war der deutsche Arzt Constantine Hering (1800-1880). Mit seinem Elan wurde 1833 die Hahnemann-Gesellschaft und 1835 die Nordamerikanische Akademie der homöopathischen Heilkunst in Allentown bei Philadelphia gegründet. Die Unterrichtssprache war deutsch. Unterricht erfolgte zuerst nur in den Sommermonaten als Ergänzung zur herkömmlichen Medizinerausbildung. Die Schule wurde offiziell an Hahnemanns Geburtstag (10. April) gegründet, und man nannte sie kurz die Allentown Academy. Sie konnte sich aufgrund finanzieller Probleme nur bis 1842 halten. [29] Die Homöopathie breitete sich jedoch weiter aus. 1840 arbeiteten bereits in 16 Staaten Ärzte homöopathisch und im Jahre 1844 wurde das American Institute of Homoeopathy (AIH) gegründet, die erste landesweite ärztliche Vereinigung. Hering war ihr erster Präsident.[30] Als Ziele definierten sie die „reformation and augmentation of the materia medica, the restraining of physicians from pretending to be competent to practice Homeopathy who have not studied it in a careful and skillful manner“. [31] Die regulären Mediziner gründeten erst drei Jahre später im Jahre 1847 eine eigene Organisation, die American Medical Association (AMA).

  1. Homöopathische Colleges und Gesellschaften

Nach der Allentown Academy wurde 1848 in Philadelphia das Homoeopathic Medical College of Pennsylvania durch Constantine Hering, Jacob Jeanes und Walter Williamson gegründet. [32] Hier gelang unter dem Einfluss einer liberalen Gesetzgebung etwas, worauf die Gründerväter stolz waren: die Gründung eines eigenen homöopathischen Colleges. Die Eröffnungsvorlesung am 16.10.1848 wurde nicht nur für die ersten fünfzehn Studenten, sondern für alle, die an Homöopathie interessiert waren, abgehalten. [33] Im Gegensatz zu anderen ließ dieses College bis 1941 keine weiblichen Studenten zu. Selten durfte eine Frau als Gast in den hintersten Reihen einer homöopathischen Vorlesung lauschen. [34] Das College wurde 1869 unter dem Einfluss Henry Newell Guernseys und Constantine Herings umbenannt in Hahnemann Medical College [35], nachdem es mit dem gleichnamigen College fusioniert wurde. Es existierte noch lange unter dem Namen Hahnemann University. Inzwischen wurde es, nach finanziellen Schwierigkeiten und Verkauf im Jahre 2002, in Drexel-University umbenannt. [36]

Vor der Gründung der Allentown Academy und des Homoeopathic Medical College in Philadelphia waren alle homöopathischen Ärzte ausgebildete Schulmediziner gewesen, die sich erst nach Beginn ihrer schulmedizinischen Tätigkeit der Homöopathie zuwandten. Durch die Gründung eines eigenen Colleges wurde es möglich, beides von Anfang an zu studieren. Die konvertierten Homöopathen hielten Kontakt zu den regionalen schulmedizinischen Fachgesellschaften und Kollegen. Viele betrachteten die Homöopathie auch als Ergänzungstherapie in ihrer Praxis. So gründete Wilhelm Wesselhoeft mit seinem Bruder eine wassertherapeutische Institution. [37] Laut Martin Dinges hatten es Ärzteorganisationen in den USA leichter als in Deutschland, wo der Staat die Approbation kontrollierte. Mit der Gründung von Ärztevereinen grenzte man sich gegenüber nichtprofessionellen Heilkundigen ab. In den USA war der Staat weniger in die Ausbildung des ärztlichen Personals eingebunden, so dass den Vereinen eine größere Bedeutung zukam. [38]

Die Homöopathie fand Freunde in der Oberschicht der Städte, bei Kirchen und Intellektuellen:

„Homeopathy, on the other hand, appealed primarily to those urban middle and upper class persons who were seeking an alternative to regular medicine. It was able to do so for two major reasons. First, unlike its competitors, homeopathy was extremely fashionable among the European nobility and upper classes, whose tastes were often copied by affluent Americans”. [39] Eine besondere Rolle spielte die sogenannte „Swedenborg-Kirche“ (Emanuel Swedenborg, 1688-1772, schwedischer Mystiker, Wissenschaftler und Theologe), die durch ihre Mitglieder viel zur Ausbreitung der Homöopathie beitrug.

Als wesentliche Ursache für die relativ ungehinderte Ausbreitung der Homöopathie in dieser Zeit kann man die Liberalität der Regierungen der USA benennen. So schreibt Dinges: „Während etwa in Deutschland oder Österreich der Staat eine wesentliche Rolle in der Bekämpfung der Homöopathie spielte, begünstigte er die Methode in den USA. Er sorgte für den uneingeschränkten Marktzugang aller Heilkundigen. Die Verbindung homöopathischer Ärzte mit dem politischen Liberalismus und mit christlichen Glaubensgemeinschaften sicherte der Bewegung zudem Einfluß in wichtigen Institutionen wie Gesundheitsbehörden oder Parlamenten“. [40] Die Homöopathie war im Nordosten der USA und in den Städten verbreitet, wobei die homöopathischen Ärzte vor allem von wohlhabenderen Familien konsultiert wurden. [41]

Von Anfang an waren die meisten regulären Ärzte gegen die Homöopathie eingestellt, und nach Gründung der American Medical Association im Jahre 1847 wurde ein Verhaltenskodex erlassen (Code of ethics), der den allopathischen Ärzten den Kontakt und die Zusammenarbeit mit Homöopathen und anderen exklusiv arbeitenden Heilern verbot. Diese Ausgrenzung nahm drastische Formen an. Es kam zu Gerichtsprozessen, in denen Mitglieder der American Medical Asoociation angeklagt wurden, homöopathisch behandelt zu haben. [42] Oliver Wendell Holmes, ein bekannter Arzt und Literat, veröffentlichte 1842 den Artikel „Homeopathy and its kindred delusions“, der viele schulmedizinische Kollegen beeinflusst haben mag. [43] Wie auch heute noch warf man der Homöopathie vor, mit Placebos und Suggestion zu arbeiten. [44] Dennoch breitete sich die Homöopathie immer weiter aus. Das American Institute of Homeopathy hatte 1846 noch 144, im Jahre 1880 schon 830 Mitglieder. Diese Zahl steigerte sich bis zum Jahre 1903 auf 2.100 Mitglieder, was ca. 8 bis 9 Prozent aller amerikanischen Ärzte ausmachte. Im Vergleich zu Deutschland war dies ein deutlich höherer Prozentsatz an homöopathischen Ärzten. [45]

Während der Jahre vor, während und nach dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) setzten sich viele Homöopathen für eine liberale Gesetzgebung und die Abschaffung der Sklaverei ein. Dies kam ihnen nach dem Kriege bei Schulgründungen zu Gute. So wurden die Homöopathen von Intellektuellen und politischen Reformern unterstützt. [46] Auch die Abschaffung des Verbots, Frauen studieren zu lassen, unterstützten viele homöopathische Colleges. So waren um 1900 ca. 17 % Frauen unter den homöopathischen Studenten, und 12% betrug der Anteil der Frauen an homöopathischen Ärzten. [47] In New York entstand das erste homöopathische College für Frauen, das erste seiner Art, schon im Jahre 1865. [48]

Die Zustände der schulmedizinischen Ausbildung der Mediziner waren unzureichend. Es gab keine allgemeinen Richtlinien, und die Colleges konkurrierten untereinander, was Ausbildungszeit , Kosten und Kürze des Studiums betraf. Man bekam ein Arztdiplom schon nach wenigen Monaten und mit etwas Geld relativ leicht. Es herrschte in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts Kurierfreiheit, so dass es überall viele Laienheiler gab. Die übliche Ausbildung lief über eine mehrjährige Hospitation bei einem erfahrenen Praktiker. Medizinschulen kamen erst ab der Mitte des Jahrhunderts auf. [49] Das Studium an einem College dauerte in der Regel nur ein bis zwei Jahre, und oft reichte zur Aufnahme aus, lesen und schreiben zu können. Die Homöopathie fand in diesem liberalen Fahrwasser leicht ihre Nische und wurde von der Bevölkerung willkommen geheißen, verband sich in ihr doch eine milde Behandlung mit den liberalen Gedanken der Zeit. So schreibt Rogers: „Einige der ersten Homöopathen sahen ihre Ablehnung der medizinischen Tradition auf einer Linie mit sozialen und politischen Bewegungen, die etablierte Institutionen und Ideen kritisierten“. [50] Erst 1877 gab das American Institute of Homeopathy als Richtlinie eine dreijährige Ausbildung an einem homöopathischen College vor und ab 1890 sogar eine vierjährige Ausbildung. [51] In dieser Zeit wurden die homöopathischen Colleges mehr und mehr zu normalen schulmedizinischen Ausbildungsstätten. Anfang 1900 wurden die Kosten für aufwändige Laborausstattungen nach oben getrieben, was sich die kleinen Colleges nicht mehr leisten konnten. Dies sei mit ein Grund für die Halbierung der homöopathischen Colleges gewesen, schreibt Dinges. „From 1900 to 1910, the number of homeopathic medical schools declined from 22 to 12, while the number of regular schools declined from 126 to 109“. [52]

Constantine Hering (1800-1880), geboren in Oschatz/Sachsen, war einer der einflussreichsten Homöopathen in den USA. Er hatte Mathematik und Griechisch in seiner Heimatstadt Zittau, später Medizin ab 1820 in Leipzig und von 1825 bis 1826 in Würzburg studiert. Während seiner Studienzeit in Leipzig sollte er eine Streitschrift gegen die Homöopathie verfassen. Hahnemann lehrte zur gleichen Zeit dort Homöopathie, doch Hering hat ihn persönlich nicht kennengelernt. Durch die homöopathische Heilung seines infizierten Fingers mit homöopathisch aufbereitetem Arsen konvertierte Hering zur Homöopathie. [53] Er begann die Homöopathie zu verteidigen, wodurch er sich die Feindschaft der Professoren zuzog. Er verlor sein Stipendium und wechselte nach Würzburg. Nach der Dissertation arbeitete er zunächst als Lehrer und nahm später das Angebot an, an einer vom sächsischen Staat finanzierten Expedition nach Südamerika (Surinam) mitzuwirken. Er sollte dort zoologische Untersuchungen durchführen. Da ihn seine homöopathische Leidenschaft jedoch mit dem Forschungsauftrag in Konflikt brachte, ließ er sich bald als Arzt in Paramaribo nieder. Dort führte er Arzneimittelprüfungen durch. Am Bekanntesten ist seine Prüfung des Giftes der amerikanischen Buschmeisterschlange (Lachesis). 1829 lernte Hering einen Missionar kennen, der wohl sein erster Schüler wurde und der ihn 1833 bat, ihn in Philadelphia bei einer Choleraepidemie zu unterstützen. [54] So kam es, dass Hering nicht, wie wohl geplant war, zurück nach Deutschland ging, sondern sich in Philadelphia niederließ. Unter seiner Leitung wurde 1835 die Allentown Academy gegründet, die er jedoch aus finanziellen Gründen 1837 wieder verließ. Bei der Gründung des Homeopathic Medical College of Pennsylvania war er einer der drei Gründerväter. Doch auch dieses College verließ er nach kurzer Zeit aus bisher unbekannten Gründen. Hering unterrichtete Ärzte und Studenten in seiner Praxis im Sinne einer Hospitation, nahm auch farbige Studenten auf und engagierte sich in der republikanischen Partei gegen die Sklaverei. Hering wurde nach seiner Rückkehr ans College zum Professor ernannt. Hering setzte sich zeitlebens für eine fundierte Ausbildung in schulmedizinischen Grundlagenfächern ein.

Adolph von Lippe, der ebenfalls am College unterrichtete, war gegen die Aufnahme der Pathologie als Fach, das er für Homöopathen als unnötig erachtete. Hering war gegenteiliger Ansicht, so dass er nach einem Streit die Universität verließ und 1867 das Hahnemann Medical College gründete. Durch günstige Beziehungen gewann Hering seinen Einfluss zurück, und so wurden 1869 beide Colleges zum Hahnemann Medical College of Philadelphia vereinigt. [55] Abraham Flexner gab 1910 einen positiven Bericht zu diesem College ab. Die Grundsätze einer fundierten Ausbildung, die Hering propagiert hatte, waren beibehalten worden. Die intensive Ausbildung in beiden Disziplinen schien sich allerdings nach Herings Tod geändert zu haben. So zitieren Daniel Cook und Alain Naudé den Brief eines Studenten, der von der geringen Homöopathiekenntnis eines Materia-Medica-Lehrers berichtete. [56] Hering emeritierte 1871 und verstarb 1880. Er war wie Kent Anhänger des Swedenborgianismus. [57]

Hering initiierte die dritte Strömung innerhalb der Homöopathiebewegung. Die erste Strömung wird dargestellt durch die strengen Hahnemannianer unter Ausschluss aller schulmedizinischen Neuerungen, die als überflüssig angesehen wurden (vor allem die Pathologie). Der zweiten Strömung (New Homeopaths) [58] gehörten die Eklektiker unter den Homöopathen an, die offen für naturheilkundliche Maßnahmen und für schulmedizinischen Methoden waren (unter Vernachlässigung der Regeln der klassischen Homöopathie). Mit Hering kam die dritte Strömung, strenge klassische Homöopathie in Verbindung mit den neuesten medizinischen Erkenntnissen in der Ausbildung, jedoch nicht in der Therapie.

Die Ärzte, die in diesen ersten Colleges ihre homöopathische Ausbildung erhielten, wurden schnell zu Multiplikatoren der homöopathischen Lehre. Das Land war groß, die Gesetzgebung liberal und es war ein leichtes, in einer anderen Stadt ein College zu eröffnen. Viele berühmte Homöopathen halfen der Homöopathie zu Ausbreitung und Anerkennung. [59] William Wesselhoeft (1794-1858) war in Deutschland als radikaler Burschenschaftler ins Gefängnis gekommen, ausgebrochen und nach Amerika ausgewandert. Dergleichen Schicksale gab es viele. Man erhoffte sich in Amerika ein besseres Leben und mehr Freiraum, politische und medizinische Ideen zu verwirklichen.

Adolph Graf zur Lippe (1812-1888), ein adeliger Arzt aus Deutschland, kam 1837 in die USA, studierte in Allentown und machte in Philadelphia eine große Karriere. Er wurde berühmt durch seine erfolgreichen Kuren und seine Lehrtätigkeit am Homeopathic Medical College of Pennsylvania. Außerdem war er maßgeblich an der Herausgabe einiger Zeitschriften beteiligt: The Organon, The Hahnemannian Monthly, The Homoeopathic Physician. [60]

Henry Newell Guernsey (1817-1885) war ebenfalls Professor am Homoeopathic Medical College in Philadelphia. Er war ein weiterer Baustein in der Verbreitung der Homöopathie und der Entwicklung der Hochpotenzen: „He was an earnest, honest, and conscientious disciple of Hahnemann and was the reputed author of the keynote method and the first public teacher of the single remedy and the high potency”. [61]

Caroll Dunham (1828-1877), gebürtiger Amerikaner, bereiste Europa, wurde Schüler Clemens von Bönninghausens und knüpfte viele Kontakte zu Homöopathen in Europa. Er war sehr engagiert im American Institute for Homoeopathy und setzte sich für die Aufnahme von Homöopathen ein, die Homöopathie mit Allopathie mischten, in der Hoffnung, sie durch die Integration auf Dauer an die klassische Homöopathie zu binden. Dies führte zu einer großen Unstimmigkeit unter den amerikanischen Homöopathen: „Er [Dr. B. Fincke, A.d.V.] liess sich dann als homöopathischer Arzt in Brooklyn nieder, wo er bereits sieben homöopathische Kollegen, darunter P.P. Wells und Dr. Caroll Dunham, vorfand. Mit diesen beiden bedeutenden Männern wurde Fincke eng befreundet; aber während die Freundschaft mit Wells bis zu dessen Tode dauerte, brach er mit Dunham, nachdem dieser 1870 als Präsident des Amerikanischen homöopathischen Instituts in seiner bekannten Rede „über Freiheit der medizinischen Ansichten und Praxis“ der Allopathie bedenkliche Konzessionen gemacht hatte, die nicht nur Fincke, sondern auch viele andere Hahnemannianer befremdeten“. [62] Die Entscheidung Dunhams war Ausdruck der längst vollzogenen massiven Spaltung innerhalb der amerikanischen Homöopathenschaft. [63]

Die Entwicklung der Homöopathie verlief nicht geradlinig, und es gab viele innerhomöopathische Querelen, wie die Geschichte deutlich macht. Dunham sah sich wohl als Friedenstifter zwischen den sogenannten „Halbhomöopathen“ und den „Hahnemannianern“. Die Letzteren bezogen sich in erster Linie auf Hahnemann und folgten den Lehren des Organons, Hahnemanns Grundlagenwerk. Meist verwendeten sie höhere Potenzen. Die sogenannten „Halbhomöopathen“ verwendeten Allopathie und Homöopathie, sie waren anderen Methoden gegenüber aufgeschlossen und verschrieben eher Tiefpotenzen. Manche lehnten auch die Lehren Hahnemanns als zu antiquiert ab. [64] Viele der homöopathischen Colleges waren der klinischen Homöopathie zugetan. Man verschrieb nach Indikationen ein Mittel für eine bestimmte Erkrankung, ganz wie die Kollegen der Schulmedizin. Manche Schulen waren eher kommerzielle Einrichtungen, die Homöopathie auf einem niedrigen Niveau betrieben. [65] Noch drastischer fassen das Daniel Cook und Alain Naudé zusammen: „The notion that homoeopathy flourished in America prior to 1900 is wrong. The so- called homoeopathic colleges and most of the physicians who called themselves homoeopaths represented eclectic pseudo-homoeopathy, and were opposed to homoeopathy. It was this opposition, not allopathy, that prevented genuine homoeopathy from becoming established in America”. [66]

Um 1880 gab es in den meisten größeren Städten ein homöopathisches College und niedergelassene Homöopathen. Umwälzungen in der regulären Medizin mit Neuerungen und Kritik an den bisherigen Methoden boten ebenfalls ein günstiges Terrain für die Homöopathie. Aus Paris und Deutschland kamen neue Ideen zur Lehre der Schulmedizin: Die Wichtigkeit der Labormedizin, des Empirismus und der sogenannten „bedside observation“. [67]

1876 hielt das American Institute of Homeopathy einen internationalen Kongress ab, zu dem mehr als 700 Homöopathen aus den USA, Europa und Südamerika kamen. Caroll Dunham organisierte als Institutspräsident den Kongress. Er versuchte, als Mittler zwischen den Hahnemannianern und den Eklektikern aufzutreten und traf die Entscheidung, die sogenannten Halbhomöopathen mit einzubeziehen. Doch konnte er nicht verhindern, dass sich zwei Lager bildeten. Es wurde über Hoch- und Tiefpotenzen und den Nutzen der Pathologie diskutiert. In der Folge kam es zu einer Zersplitterung, die Dunham möglicherweise persönlich so traf, dass er kurze Zeit nach dem Kongress verstarb. [68] Harris Coulter widmet im dritten Band seines Werkes Divided Legacy ein ganzes Kapitel dem Thema Hochpotenzen versus Tiefpotenzen. [69] Die Tiefpotenzler wollten sich nicht bevormunden lassen, und ähnlich wie schon zu Hahnemanns Zeiten Moritz Müller sich gegen Hahnemanns Vorgaben zur Wehr setzte (s. Kap. 3.1), so wehrte man sich auch in den USA mit den beispielhaften Worten: „We are free people bound by no law“ und „We ought to have more liberty. I thoroughly endorse Hahnemann, but I will not call any man, whoever he may be, master”. [70] In der klassischen Homöopathie war es üblich, von einem Lehrer zu lernen, der für den Schüler wie ein Meister war. Die Eklektiker wollten sich keinem Lehrer unterordnen.

1880/81 gründete eine Gruppe unter der Leitung von Henry C. Allen (1836-1909) und Adolph von Lippe (1812-1888) eine neue Vereinigung, die International Hahnemannian Association (IHA). Diese Organisation schrieb sich die „reine klassische Hahnemanntreue Homöopathie“ auf ihre Fahnen und grenzte sich bewusst gegen das American Institute of Homeopathy ab. Adolph von Lippe forderte die Unterzeichnung eines Glaubensbekenntnisses (Declaration of homoeopathic principles), um so klar zu stellen, wer Hahnemannianer und wer Halbhomöopath sei. Durch diese neue Organisation brach eine deutliche Trennung in der Homöopathenschaft auf, ein Riss, der für die nächsten Jahrzehnte bestehen blieb und sich weiter verschärfte. [71] Die International Hahnemannian Association konnte aber im Vergleich zu anderen Organisationen mit 200-300 Mitgliedern wenig Einfluss nehmen.[72] Für die Hahnemannianer schienen die Neuerungen der Medizin wie Bakteriologie, Physiologie und Pathologie nicht relevant zu sein, und viele lehnten diese ab. [73]

Doch viele der Colleges unterrichteten die neuen schulmedizinischen Fächer und hatten nur eine geringe Ausbildung in der Homöopathie zu bieten: „From all this it is clear that it was mainly allopathy, not homoeopathy, that was being taught at these so-called homoeopathic medical colleges“. [74] In der „Presidents Adress“ (Ansprache des Präsidenten des American Institute of Homeopathy) Byron Millers ist zu lesen, dass es durchaus sinnvoll sein könnte „to fit our young men and women for their life work with a good, broad, general education in medicine and surgery, leaving the refinements and specialities for later postgraduate work“. Miller zog eine Postgraduiertenausbildung vor, damit die Studenten erst einmal zu gut ausgebildeten Medizinern würden. Er glaubte sogar, sonst die jungen Köpfe zu überladen und Konfusion auszulösen. [75]

  1. James Tyler Kent – Kurzer Lebenslauf
31.3.1849 Geburt in Woodhull, Steuben County (Staat New York)
Offizielle Eltern: Caroline und Stephen Kent
Wahrscheinliche Eltern: Jane und Henry Kent
1855 Grundschule bei seiner Tante Aurelia in Prattsburgh, Franklin Academy
1867-1868 Mittelschule, wahrscheinlich Woodhull Academy
1870 Ph.B [Bachelor of Philosophy]: Madison University (heute Colgate University)
in Hamilton,New York (nicht gesichert)
AM [Master of Arts]: Medical College Bellevue. [Nicht gesichert]
1868-1870 Hospitation bei Dr. Elihu Brown, Woodhull
1871 Eclectic Medical College, Cincinnati, Studium der Medizin und Promotion
1871-1873 Erste Praxis in Woodhull, Washington Street, gelbes Haus
22.10.1872 Tod von Ellen L. Kent, im Alter von 19 J., [Kents erste Frau]
1874 St. Louis / Missouri, erste eklektische Praxis mit John A. King
1875/76 Heirat mit Lucy H.
1875-1880 Veröffentlichungen in eklektischen Zeitschriften
1876 Dozent am American Medical College, St. Louis (Kent 27 J.)
1880 Erkrankung seiner Frau Lucy, Behandlung durch Dr. Phelan, erster Kontakt zur Homöopathie
1881 Erste Artikel in homöopathischen Zeitschriften, Austritt aus sämtlichen eklektischen Vereinigungen
1881-88 Dozent am Homoeopathic Medical College of Missouri, St. Louis
Dozent für Anatomie, Chirurgie und Materia Medica
1886 President of the International Hahnemannian Association (Kent 37 J.)
1888 Philadelphia / Pennsylvania, Übernahme der Praxis Adolph von Lippes Vorlesungen am Women’s Homoeopathic Hospital (Organon-Vorlesungen)
1891 Postgraduate School of Homoeopathics
13.10.1895 Tod seiner zweiten Frau Lucy
02.07.1896 Heirat mit Clara Louise Tobey (Kent 47 J.)
1897 Herausgabe des Journal of Homoeopathics
1897-99 Herausgabe des Repertoriums in 12 Teilen
1900 Chicago, Dunham Medical College und Praxis in der 92 State Street
1900 Publikation der Lectures on Homoeopathic Philosophy
1902 Dekan des Dunham College
1903-10 Dekan des Hahnemann Medical College
1910-1913 Dekan des Hering Medical College
05.06.1916 Tod Kents 67 jährig in Stevensville (Staat Montana)
  1. James Tyler Kent – Herkunft , Studium und Karriere

In die Zeit der Spaltungen und Streitigkeiten um die richtige Homöopathie fiel das Wirken des homöopathischen Arztes James Tyler Kent. Sein Name taucht auch heute noch in vielen homöopathischen Journalen auf. Viele Homöopathie-Schulen beziehen sich auf Kent und seine Lehren. Er wurde von seinen Schülern hoch geschätzt. Er fand im Laufe der Jahre aber auch heftige Gegner. Seine Person schien stets entweder Verehrung oder Verurteilung auszulösen.

Julian Winston beschreibt Kent wie einen aufgehenden Stern: „By the early 1880s, homoeopathy was foundering without strong leadership, divided among many factions. As with other places and other times, a leader often emerges when needed. In this case, the masked-man rode in from the west. About 1884 we suddenly see in the records of the societies, ,well what would Dr. Kent say about this?‘ He came, it seemed, from nowhere”. [76]

James Tyler Kent wurde in Woodhull / Steuben, im Nordwesten des Staates New York, nahe der Grenze zu Pennsylvania, am 31.3.1849 geboren. Seine Herkunft gibt einige Rätsel auf. Pierre Schmidt gab in seiner Kent-Biographie Caroline Tyler und Stephen Kent als Eltern an. [77] Auf dem Totenschein von 1916 gab Kents dritte Frau, Clara Louise Tobey, als Eltern Clarissa Jane Kent und Henry F. Kent an. [78] Laut Testament von Stephen Kent seien Jane und Henry offiziell Geschwister James Tyler Kents, berichtete Klaus-Henning Gypser, der intensiv über die Herkunft Kents geforscht hat. [79]

Eine Geburtsurkunde Kents ließ sich nicht ausfindig machen. Die Kirchenbücher dieser Zeit seien verbrannt, was seltsam anmutet, da Stephen Kent für die Aufbewahrung und Führung der Kirchenbücher zuständig gewesen sei. Im Testament Stephen Kents sei James eher wie ein Enkel bedacht worden, obwohl alle anderen Kinder, auch die Töchter, zu gleichen Teilen erbten. [80] Die Biographen vermuten einen Inzest unter den Geschwistern Jane und Henry Kent, der von Caroline und Stephen vielleicht aus Scham vertuscht werden sollte. Die vermeintlichen Geschwister waren demnach vielleicht seine Eltern. [81] Zur Zeit der Geburt James Tyler Kents war Henry 15 und Jane 13 Jahre alt. [82] Im Juni 1849, kurz nach der Geburt James Tyler Kents, seien siebzehn Mitglieder der Kirchengemeinde ausgetreten und hätten ihre eigene Kirche gegründet. Dies könnte auf einen Konflikt innerhalb der Gemeinde hindeuten, denn Stephen hat wohl, wenn der Inzest wahr ist, versucht, James Tyler Kent als seinen Sohn in die Bücher einzutragen. [83] Die Gräber der vermeintlichen Eltern Kents befinden sich auf dem Friedhof von Woodhull, wo Henry Kent ein eigenes Familiengrab hat.

Man schickte James Tyler Kent nicht in die Dorfschule am Ort, sondern er lebte bei seiner Tante Aurelia im 50 km entfernten Prattsburg und ging dort zur Schule (Franklin Academy). In den biographischen Recherchen von Frederic Schmid, der in einem Artikel Hela Michot-Dietrichs über Kent zitiert wird, erfährt man über Kent, dass er als „Kind einen schweren Fall von Masern gehabt haben soll, auf welchen dann Scharlach folgte. Er sieht darin den Ursprung des Nierenleidens, welches die Ursache von James Tyler Kents Tod gewesen sein soll und als Bright’s disease auf der Sterbeurkunde eingetragen ist“. [84]

In den älteren biographischen Artikeln über Kent gibt es keine Einigkeit, was seine Ausbildung betrifft. Daher ist Gypser, als neuerer Biograph, der vor Ort recherchiert hat, hier vor allem zu Rate gezogen worden. [85] John Kent junior, der Vater von Stephen Kent, habe in seinem Haus die erste baptistische Gemeinde gegründet. Henry F. Kent (der wahrscheinliche Vater Kents) wurde, wie schon sein Vater und Großvater, Diakon der Gemeinde.

Um einen Einblick in den Ort Woodhull und damit in die Lebensumstände Kents zu bekommen, folgt ein kleiner Auszug aus Michot-Dietrichs Artikel: „Anfang des neunzehnten Jahrhunderts wurden in Woodhull vier Schulen gebaut. Das zweite Schulgebäude, eine Blockhütte am Bradys Corner zwischen Woodhull und Jasper, die heute nicht mehr existiert, entstand kurz nach 1825, und Stephen Kent war einer der ersten Lehrer, die dort unterrichteten. Woodhull, N.Y., das im Süden an Pennsylvanien grenzt, war im neunzehnten Jahrhundert eine Gemeinde mit drei Mühlen, einem ,wagon shop‘ und einer Käsefabrik, welche laut Roberts im Jahr 1891 ,zwanzig Käse pro Tag produzieren konnte‘. Heute gibt es nur noch die Käsefabrik mit vielleicht zehn Angestellten, und Woodhull hat keine eigene Schule mehr. Die Zahl der Einwohner liegt unter 500. Die ,Stadt‘ wurde am 18. Februar 1828 als solche gegründet und nach dem Helden des Revolutionskrieges, General Nathaniel Woodhull, benannt“. [86] Woodhull war eine kleine aufstrebende Gemeinde mit klaren Strukturen, in denen die Familie Kent Fuß gefasst hatte.

1867-1868 habe Kent eine Ausbildung an der gerade neu eröffneten Woodhull Academy erhalten. Wahrscheinlich machte er dort, an seinem Geburtsort, den schulischen Abschluss. Pierre Schmidt erwähnt, dass Kent an der Universität in Madison in Hamilton seinen Bachelor of Philosophy (PhB entspreche einem zweijährigen Studium an einer Universität in Europa [87]) und am Medical College von Bellevue seinen Master of Art (A.M.) gemacht habe. Gypser, der vor Ort recherchierte, fand jedoch keine Hinweise, dass Kent dort studiert habe. Auch nach einer eigenen Kontaktaufnahme mit der dortigen Bibliothekarin fanden sich diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse. [88] Die Angaben Pierre Schmidts sind also möglicherweise nicht ganz verlässlich, denn er kam zu einem Zeitpunkt in die USA, als Kent schon gestorben und Schmidt auf die Angaben der Schüler Kents angewiesen war .

Auch Winston berichtet, dass einige Biographen die Zusammenhänge ähnlich wie Pierre Schmidt wiedergeben: „Most others biographies have Kent getting his PhB in 1868 (still at the age of 19) and an AM in 1870 at Madison College (now Colgate University) in Hamilton, New York“. [89] In der ersten Ausgabe des Homeopathician (von Kent und seinen Schülern herausgegeben), schrieb Julia Loos eine kurze Biographie über Kent, worin sie ebenfalls erwähnt, Kent habe an der Madison University den Degree of A.M. gemacht. Anschließend habe er den medical degree am Bellevue Medical College (New York) bekommen, was nicht näher ausgeführt wurde. [90]

1868-1870 habe Kent wohl bei dem Arzt Elihu Brown hospitiert. Mehr als diese wenigen Daten sind nicht bekannt. Es fällt schwer, sich ein genaues Bild von Kent in dieser Zeit zu machen. Am 6. Februar 1871 habe sich Kent am Eclectic Medical College in Cincinnati, Ohio, eingeschrieben. Er studierte dort vier Monate Medizin und beendete sein Studium mit der Abschlussarbeit „The true eclecticism“ und einer Urkundengebühr von 25 Dollar, womit er nun offiziell Doktor war. Eine Studiendauer dieser Kürze war damals nicht unüblich und kann Kent, der keinen reichen Gönner hatte, nicht zur Last gelegt werden. Sicherlich hatte Kent aufgrund seiner schwierigen Herkunft mit wenig Unterstützung zu rechnen und konnte froh sein, dass Stephen Kent (sein wahrscheinlicher Großvater) ihm überhaupt etwas Geld gab. Stephen lieh James T. Kent wohl Geld, welches ihm später durch Stephens Testament erlassen wurde. [91] Die Zustände an den Universitäten waren damals verheerend. Es wurde praktisch jeder aufgenommen, der die Studiengebühr bezahlen konnte.

Kent wandte sich der eklektischen Medizin zu. Die Eklektiker hielten an Bewährtem fest und wandten naturheilkundliche Arzneien an. Ihr oberstes Ziel war es, nicht zu schaden (Primum nil nocere). Als Ärzte grenzten sie sich von den Laienmedizinern ab. Kent wurde Mitglied der nationalen Vereinigung eklektischer Ärzte. [92] Eklektische Medizin war in den Jahren 1820 bis 1830 von Wooster Beach, I.G. Jones, John King und John M. Scudder in den USA bekannt gemacht worden. [93] Diese reformatorische Bewegung sah sich im Gegensatz zur herkömmlichen Medizin. Wooster Beach sammelte literarische Werke über Botanik und versuchte, die Lebenskräfte der Patienten damit zu stärken. „Operating on a parallel but less heroic road to wellness, the eclectics introduced and marketed so-called concentrated medicines, including the resin of podophyllum as a substitute for calomel; used counterirritants to relieve affections; devised a compound tar plaster to replace oldschool applications of croton oil, cantharides, and tarter emetic; and used compound tincture of sanguinaria and compound lobelia powder for emesis“. [94] Winston zitiert Matthew Wood, der überzeugt ist, dass Kents Einstellung deutlich von der eklektischen Doktrin John Scudders beeinflusst sei. „Kent’s whole basic view of vitalism is completely an eclectic“ und „No one sounds more like Scudder than Kent“. [95]

Kent habe in den Jahren 1871 bis 1873 seine erste Praxis in Woodhull in der West Washington Street in einem gelben Haus geführt, das noch heute stehe und kaum bauliche Veränderungen erhalten habe. Aus dem Jahre 1873 existiere eine veröffentlichte Karte. [96] Er scheint in dieser Zeit geheiratet zu haben, denn in Woodhull fand sich der Grabstein mit der Inschrift „Ellen L. – Wife of J.T. Kent, Died Oct. 22, 1872 – aged 19 years. Ours the cross, hers the crown“. [97] Sie wird von den meisten älteren Biographen nicht erwähnt. In den meisten älteren biographischen Beschreibungen findet sich die Angabe, dass Kent zweimal verheiratet gewesen sei. Aufgrund dieser neuen Information kann davon ausgegangen werden, dass er dreimal verheiratet war. Nähere Umstände über den frühen Tod von Kents erster Ehefrau konnten nicht in Erfahrung gebracht werden.

1874 siedelte Kent nach St. Louis, Missouri um. Er eröffnete dort mit einem Studienfreund John A. King eine eklektische Praxis. St. Louis ist von Woodhull ca. 826 Meilen (ca. 1.330 km) entfernt. Sein Umzug wurde eventuell durch die Heirat seiner Tante Caroline nach St. Louis angeregt bzw. unterstützt. [98] Über Kents Privatleben, seine Mentalität, seine Gewohnheiten wurde nur wenig bekannt. Seine Heirat mit Lucy H. (evt. auch Lucia [99]) fällt in die Jahre 1875/1876. Lucy H. scheint in Philadelphia geboren worden zu sein. [100]

Kent blieb während seiner ganzen Karriere ein Mensch, der sich engagierte und für seine Überzeugungen vehement eintrat. Seine Ideen und sein Wissen veröffentlichte er hauptsächlich in Zeitschriftenbeiträgen. Ab 1875 schrieb er für eklektische Zeitschriften, insgesamt 25 Originalbeiträge bis 1881, und veröffentlichte 1879 sein erstes Werk mit dem Titel Sexual Neuroses. [101] Winston schreibt, dass Kent in seinem Leben Editor von drei Zeitschriften gewesen sei: The Homoeopathic Courier (St. Louis, 1881-1882), Journal of Homoeopathics (Philadelphia, 1897-1899) und The Homoeopathician (Chicago, 1912-1916). [102]

In den Jahren 1876/1877 begann Kent, 27-jährig, am American Medical College in St. Louis zu unterrichten. Er arbeitete zuerst als Demonstrator of Anatomy, später als Professor. Lehrtätigkeiten in dieser Zeit sind nicht mit den Anforderungen heutiger Lehrtätigkeiten gleichzusetzen. Es war durchaus üblich, einen Professorentitel für unentgeltliches Lehren an einer Universität zu bekommen. [103] Sein Engagement galt zunächst eklektischen Vereinigungen. Engagement und Ehrgeiz Kents zeigte sich auch in dieser Zeit: „Im Februar 1879 avancierte Kent zum Vizepräsidenten der Eclectic Medical Society of Missouri, der er seit 1875 angehörte. Er wurde im Juni des Jahres als Delegierter der Jahrestagung der National Eclectic Medical Association, der er 1879 beitrat, entsandt und dort Vorsitzender des Bureau of Electricity [sic!]“. [104]

Laut Gypser fällt die Erkrankung von Kents Frau, Lucy H., in das Jahr 1880 (Winston gab 1878-1879 als Datum der Erkrankung an [105]). Auf Wunsch von Lucy wurde diese von dem homöopathischen Arzt Richard Phelan behandelt und schließlich geheilt. Pierre Schmidt beschrieb diese Begebenheit ausführlich. [106] Nach dieser beeindruckenden Heilung habe Kent „wochenweise alle Nächte, nur mit einem Pardessus gegen die Kälte geschützt, damit zugebracht, die ganze damals bestehende homöopathische Literatur der Vereinigten Staaten durchzuarbeiten“. [107] Richard Phelan war 1836 in Irland geboren und starb 1902 in St. Louis. Winston stellt die Aussage Schmidts, dass Phelan ein älterer Herr mit Bart war, in Frage. Denn zur Zeit der Visitation Phelans im Hause Kent sei Phelan ca. 42 Jahre alt gewesen und habe keinen weißen Bart getragen. Dies sei wahrscheinlich eine Imagination der Kent-Schüler Alonzo Eugene Austin oder Frederica Gladwin gewesen. [108]

Dieser Hinwendung zur Homöopathie folgten einschneidende Veränderungen. 1881 trat Kent aus allen eklektischen Vereinigungen aus und studierte fortan Homöopathie. Er begann ab 1881, Artikel in homöopathischen Zeitschriften zu veröffentlichen, das heißt, er hatte sofort nach seiner Konvertierung begonnen, Homöopathie auch praktisch anzuwenden und seine Erfahrungen zu publizieren. Zunächst kümmerte er sich um die Sparte Neurologie in der Zeitschrift Homoeopathic Courier. [109]

Die erste große homöopathische Schaffensperiode Kents erfolgte in St. Louis. Er lehrte 32-39-jährig als Professor von 1881 bis 1888 am Homoeopathic Medical College of Missouri in St. Louis, zuerst Anatomie, später Chirurgie und von 1883 bis 1888 Materia Medica (Arzneimittellehre). Er arbeitete in dieser Zeit in eigener Praxis, betreute ein Altenheim, lehrte am genannten College, engagierte sich in der International Hahnemannian Association und hielt Vorträge. Bis zu seinem Tod veröffentlichte er zahlreiche Artikel in verschiedenen homöopathischen Zeitschriften. Außerdem führte er viele Arzneimittelprüfungen durch (z.B. Cenchris contortrix und Culex musca), auch an sich selbst. [110] Er spezialisierte sich auf die lebendige Darstellung der Materia Medica, die Auslegung des Organons und später auf die Erarbeitung eines neuen Repertoriums. [111] Julia Loos führt in einer kurzen biographischen Notiz aus, dass er nach Niederlegung des Amtes von Uhlemeyer, Prof. für Materia Medica, dessen Amt übernahm. [112]

Im Jahre 1886 wurde Kent Präsident der International Hahnemannian Association. [113] Diese Organisation war als Gegenpart zum American Institute of Homoeopathy gegründet worden. Die Hahnemannianer grenzten sich mit der International Hahnemannian Association gegen, nach ihrer Ansicht, halbherzige Homöopathen ab. Kent scheint von Anfang an Befürworter der „reinen“ Lehre gewesen zu sein. In diesem ersten Abschnitt seiner homöopathischen Lehrtätigkeit war auch Robert Gibson Miller ein Schüler Kents gewesen. Gibson Miller lebte später in Glasgow in England und gab das Büchlein der Arzneibeziehungen heraus. Gibson Miller war einer der berühmtesten Schüler Kents und trug zur Ausbreitung der Kent’schen Homöopathie in Großbritannien bei. [114]

1888 war ein bedeutendes Jahr für Kent, denn in Philadelphia begann für ihn die zweite große Schaffensperiode. Das Women’s Homoeopathic Hospital in Philadelphia bat Kent, die Praxis des kürzlich verstorbenen Adolph von Lippe zu übernehmen. So zog Kent im Mai 1888 ein weiteres Mal in seinem Leben um. [115] Schon kurze Zeit nach seiner Ankunft in Philadelphia begann er im Women‘s Homoeopathic Hospital mit den berühmt gewordenen Organon-Vorlesungen, die später in Zeitschriften veröffentlicht und 1900 unter dem Titel Lectures on Homoeopathic Philosophy publiziert wurden. [116] „Shortly after he arrived in Philadelphia, he formed the Organon and Materia Medica Society“. [117] Es ist anzunehmen, dass er mit seinen Schülern Arzneimittelprüfungen durchführte, seine Theorie verfeinerte und die Arzneimittellehre ausbaute.

Er wurde Belegarzt in diesem Krankenhaus. Die Vorbereitungen zu einer Postgraduierten Schule liefen im Jahre 1890 an. Am 16. Dezember 1890 sei Kent als Dekan der Schule bestimmt worden. Im Januar 1891 sei ein Gebäude gefunden worden, und die Kursgebühr für das Frühjahrssemester sollte 50 Dollar betragen. [118] 1891 wurde in Philadelphia unter Mithilfe Kents die Post-Graduate School of Homoeopathics gegründet. Gypser schreibt dazu: „1891 kam es zur Gründung der Philadelphia Post-Graduate School of Homoeopathics, der Kent vorstand und der eine Poliklinik angehörte. Als Studierende waren nur fertig ausgebildete Ärzte zugelassen, die ein Jahr lang in verschiedenen Fächern unterrichtet wurden und auch in der Poliklinik mitwirkten. Kent selbst vertrat – wenn auch nicht im gleichen Studienjahr – die Fächer Materia Medica, Grundlagen der Homöopathie und homöopathische Therapie. Diese Lehreinrichtung stand allerdings immer im Schatten des mächtigen, bestens ausgestatteten Hahnemann Medical College & Hospital“. Nach 12 Monaten Unterricht erfolgte eine Prüfung, und man erwarb den Titel des staatlich anerkannten Master of Homoeopathics. [119]

Die Post Graduate School sah in 9 Jahren angeblich 40.000 Patienten und bildete 30 Ärzte zu Homöopathen aus. [120] Jedes Mitglied der Schule unterzeichnete eine Vereinbarung, nach der das Organon von 1833 zur Grundlage gemacht wurde. Folgendes sollte gelehrt werden: „The employment of the single remedy, dynamized medicines, and the minimum dose, not singly but collectivly”. [121] 30 Ärzte schlossen ihr Diplom zum Master of Homoeopathics ab, darunter waren: Frederica E. Gladwin, C. L. Olds, M. M. Park, Mary Ives, Julia Loos, G. H. Cooper, Hugh Cameron und Harvey Farrington, um nur die Bekanntesten zu nennen. Im Gegensatz zum ortsansässigen Hahnemann Medical College erlaubte Kents Post Graduate School auch Frauen, zu studieren. Viele dieser Ärztinnen wurden erfolgreiche Homöopathinnen. [122] Die Post-Graduate Clinic schloss im April 1900 ihre Pforten. Die Gesetze hatten sich verändert. Colleges hielten nicht mehr nur drei Jahre, sondern inzwischen vier Jahre Unterricht ab. Die Studenten hätten für die Ausbildung an der Post Graduate School noch ein weiteres Jahr investieren müssen. Dies schien vielen Studenten zu lang und zu teuer gewesen zu sein. [123]

Die Post Graduate School hatte als Mitgründer und Geldgeber John Pitcairn, ein wichtiges Mitglied der New Church (Swedenborg-Kirche). Schon 1893 schrieb John Pitcairn an einen Freund: „I think you met Dr. Kent while you were here. If so you will be interested in the fact that he has been showing greater interest in our church than ever before and for the past few weeks has been attending the services on Sunday and also Doctrinal Class on Friday evening“. [124]

Hier fanden sich erste Berührungspunkte zwischen der Swedenborg-Kirche und Kent. Emanuel Swedenborg (1688-1772) hatte einen großen Einfluss auf die Naturphilosophie und den Romantizismus, erläutert José Pacheco in der Zeitschrift Arcana. [125] Swedenborg habe in der Dichotomie von „body-soul, faith-reason, material-spirit, world of intellect – world of the senses“ gedacht. In seinen theologischen Arbeiten habe er den holistischen Ansatz durch die Vereinigung der Dualitäten Wissenschaft und Religion, Himmel und Erde, Geist und Materie zu finden versucht. [126]

Die Philosophie Swedenborgs veränderte das Denken Kents maßgeblich. Sie beeinflusste wahrscheinlich seine Potenzierungslehre ebenso wie seine theoretischen Vorlesungen zur Philosophie der Homöopathie. „He thus integrated into a differentiated unity the various determinations of reality: analogy, correspondences, organicism, teleologism, theory of degrees and of series – these were to become some of the most important concepts of the Swedenborgian thinking“. [127] Es ist anzunehmen, dass die Kent’schen Verordnungen in Oktaven durch Swedenborg beeinflusst wurden. Für den Autor Pacheco ist es evident, dass Swedenborg die Theorie von Kent maßgeblich beeinflusst haben musste. [128] Auch die Einteilung des Repertoriums sah er von Swedenborg beeinflusst. [129]

Viele homöopathische Ärzte wurden durch den Swedenborgianismus beeinflusst, vor allem Constantine Hering und Kent. Francis Treuherz stellt die Frage, wie eine spirituelle Ideologie es geschafft haben mag, die Lehre und die praktische Ausübung der Homöopathie von Kent zu beeinflussen. [130] Für Swedenborg sei der Körper das Königreich der Seele gewesen („kingdom of the soul“). Er habe die Unsterblichkeit der Seele beweisen wollen. [131] Die Hierarchisierung Kents spiegele sich in der Einteilung des Menschen durch Swedenborg wieder. Homöopathen, die Swedenborg nahe standen, begriffen Krankheit als ein Zeichen einer „spiritual causation and in doing so recognised man as a spiritual being“. [132] Vor allem die Entwicklung der „octaves in the series of degrees of potencies 30c, 200c, 1M, 10M, 50M, DM, and MM“ sei bei Kent auf Swedenborg zurückzuführen. Kent habe folgendes entdeckt: „A careful raising of the potency during long-term treatment of chronic diseases was more efficacious than continuing to ply the patient with the same potency“. [133]

Kent wird bis heute wegen dieses Einflusses kritisiert. David Little äußerte 1998 auf seiner Internetseite in einer Veröffentlichung über Kents Leben und seine Arbeiten, dass man die Assoziation zwischen Kent und der New Church oft dazu verwendet habe, um Kent zu kritisieren. Dabei habe Kent die Weisheit, die in der Homöopathie stecke, erhalten. Man müsse Kent als Kind der späten Aufklärung sehen, in der Tradition, in der schon Hahnemann als Freimaurer stand. „Kent was truly a great homoeopath and a progressive thinker. Most of what he has contributed to homoeopathy has proved a lasting value. Yes, in a few areas he was wrong but that is only natural“. [134]

Kent hielt viele Vorlesungen über homöopathische Materia Medica. Seine Schüler schrieben die Vorlesungen stenographisch mit. Die Mitschriften wurden in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht und 1905 als Buch mit dem Titel Lectures on Homoeopathic Materia Medica herausgegeben. [135]

1896 kam es zu einem internen Konflikt in der Post Graduate School, als Allen Ironside, ein Graduierter, Kritik an Kent übte. In einem Meeting warf er Kent vor, seine Vorlesungen mit der Doktrin der Neuen Kirche zu vermischen, was der Schule den Eindruck einer swedenborgianischen Institution gäbe. Es kam zur sogenannten Ironside Affäre. Ein Komitee wurde eingesetzt, das schließlich folgerte, dass die Vorwürfe „vague, general, and indefinite“ seien. Ironside wurde gebeten, seine Vorwürfe genauer zu spezifizieren. Ironside schrieb zurück, dass er nichts mehr dazu zu sagen habe. Das Komitee, bestehend aus Pitcairn, Glenn und Kaercher, beschloss, Ironside zu entlassen und sein Homöopathie Diplom zurückzufordern. [136]

Am 13. Oktober 1895 starb Kents zweite Frau Lucy, [137] wahrscheinlich an einer Lebererkrankung. Kent hatte sich in dieser Zeit schon zum Swedenborgianismus bekannt und lernte wohl in der New Church seine dritte Frau, Clara Louise Tobey (12.10.1855 – 23.12.1943), kennen, die er am 2.7.1896 ehelichte. Laut Pierre Schmidt war Clara Tobey zunächst seine Patientin, sie habe von vielen Homöopathen über mehrere Jahre Lachesis bekommen und darunter Prüfungssymptome entwickelt, die nicht mehr verschwinden wollten. [138] Ein Brief Kents aus dem Nachlass Pierre Schmidts zeigt, dass Kent sehr engagiert in der New Church war. [139]

In den Jahren 1897-1900 gab Kent das Journal of Homoeopathics heraus, eine wichtige Zeitschrift der Hahnemann-treuen Homöopathen. Die Jahre in Philadelphia können als äußerst fruchtbar angesehen werden. Kent war auf der Höhe seiner Schaffenskraft und sammelte viele Schüler um sich. Schon zu dieser Zeit arbeitete Kent zusammen mit seinen Schülern an seinem Lebenswerk, dem Repertorium. Laut Jugal Kishore halfen ihm seine Schüler Frederica Gladwin, Powel, Mary Ives und Arthur Allen. [140] Kent griff dabei auf viele andere Repertorien zurück, die in seine Arbeit mit einflossen. Das Repertory of the More Characteristic Symptoms of the Materia Medica von Constantine Lippe diente ihm als Grundlage. Er durchschoss es mit Papier, das er mit eigenen Notizen füllte. [141]

Edmund Jennings Lee, ein engagierter Homöopath, Herausgeber der bekannten Zeitschrift The Homoeopathic Physician, arbeitete intensiv an der Herausgabe eines neuen Repertoriums. Doch Lee erblindete und konnte sein Werk nicht vollenden. Kent nahm Lees Arbeit mit auf, ohne im Vorwort seines Repertoriums einen deutlichen Hinweis auf die Verwendung anderer Repertorien zu geben. [142] 1914 erschien in der Zeitschrift The Homoeopathician ein Artikel Kents zur Entstehung seines Repertoriums. Dort erklärte er, wie das Repertorium entstand und welche Rolle Lee dabei hatte. [143] Auch erwähnte er, dass das Repertorium ursprünglich nicht für die Veröffentlichung gemacht war. Kent wusste wohl um die Fehler. Er hatte das Repertorium für seinen eigenen Gebrauch geschaffen. Gleichwohl hatte er den Wunsch, es jedermann zugänglich zu machen. [144]

1897-99 gab Kent sein Repertorium in 12 Teilen heraus. Der Verkauf lief nur zaghaft an und wurde zunächst kein großer Erfolg. Von den 200 vorbestellten Exemplaren seien 110 wieder abbestellt worden, so dass Kent aus eigener Tasche mehrere tausend Dollar zahlen musste, um die Herausgabe zu sichern. [145] Eine zweite Ausgabe kam 1908 heraus, die dritte Auflage konnte Kent nur noch vorbereiten, und diese kam zu seinen Lebzeiten nicht mehr heraus. Wie viel Mühe ihn die Herausgabe des Repertorium gekostet haben mag, lassen die Worte Gibson Millers erahnen: „For twenty years every spare hour was given to this book. The labor was immense, for every symptom had to be traced back to its original source, and only those who have undertaken such work can realize what it meant. But to him, it was a labor of love, and he grudged no time, trouble, or expense, if only he could, by means of this book, render the cure of disease more certain and quick….and it is little wonder that Kent’s health several times broke down, but it was a labor of love, and nothing could alter his determination to complete the work“. [146] Das Repertorium ist in 37 Kapitel eingeteilt, in einem Kopf-zu-Fuß-Schema, mit den Gemütssymptomen zu Beginn und den Allgemeinsymptomen am Ende des Repertoriums.

  1. Das Wirken J. T. Kents in Chicago und der Niedergang der Homöopathie in den USA

Im Jahre 1899 hielt Kent Gastvorlesungen im Dunham Medical College in Chicago und im Jahre 1900 zog er nach Chicago um, wo er 51-jährig seine dritte große Schaffensperiode begann. Interessanterweise gab es im Volume 5 des Journal of Homoeopathics, das interessanterweise in dieser Ausgabe von dem deutschen homöopathischen Arzt Alexander von Villers aus Dresden mitherausgegeben wurde, eine kurze Anmerkung zum Umzug Kents: „On the 22nd, ult., Prof. Kent and Mrs. Kent bade good-bye to Philadelphia to take up their residence in Evanston, Ills., in anticipation of the winter‘s work at Dunham. The alumni of the Post-graduate School, resident in Philadelphia, turned out in full force at the P.R.R. depot to get a last hand-shake of their esteemed teacher and consultant. Prof. Kent intimated that he would, during the summer take the long vacation that his friends had insisted upon, so as to be thoroughly rested before the next session’s work. His address in Evanston is 1334 Hinman Avenue. Dr. Barton, one of P.G.S. alumni, is successor to Prof. Kent in his practice, and now resides at the professor’s late address, 2133 Walnut Street, Philadelphia“. [147] Schon zu dieser Zeit schien es Kent gesundheitlich nicht immer gut gegangen zu sein. Dies wird in der Anmerkung deutlich, als die Freunde insistierten, dass er sich genügend ausruhe. Leider konnte bis dato nicht eruiert werden, ob Villers ein persönlicher Schüler Kents war.

Die Post Graduate School of Philadelphia wurde schließlich an das Dunham Medical College in Chicago angegliedert. Nach Kents Umzug nach Chicago eröffnete er in einer der Hauptgeschäftsstraßen, in der 92 State Street, seine Praxis. Privat lebte er im Vorort Evanston in einem hauptsächlich von Swedenborgianern bewohnten Teil. Schnell begann er am Dunham Medical College Fuß zu fassen. Er hielt Vorlesungen über Materia Medica, Repertorisierkunde und homöopathische Philosophie und wurde 1902 Dekan des College. Das Dunham Medical College und das Hering Medical College schlossen sich nach vielen Verhandlungen zusammen, und Kent blieb Dekan. [148] Seine Vorlesungen hielt er aus dem Stegreif anhand eines mit leeren Seiten durchschossenen Exemplars von Herings Guiding Symptoms. [149]

Im Herbst 1903 wechselte Kent an das Hahnemann Medical College of Chicago, wo er ebenfalls Dekan wurde. [150] Ein Brief Kents aus dieser Zeit macht Kent als Mensch und Lehrer in dieser Zeit etwas plastischer: „My dear Miss Sugden: As you have paid $ 14.65 on the different parts of the repertory and as $ 15.00 pays for the whole repertory I sent you by express all the remaining parts. I am glad you are helped by my works. It is a dull time for pure homoeopathy. The worst of the colleges sneer at it. I am glad I have a free choice at teaching. They are all very nice to me in our Hahnemann College of Chicago. I lecture twice each week to all of the four classes in the amphitheater. This gives the freshmen a chance to hear my entire course as it takes one 4 years to cover the Materia Medica. Ours is the only college in which a student is taught pure Hahn. Hom. It is true that much that is not true is taught by some other teachers. But I try to keep our students from observing the mongrelism. Yours truly, James Tyler Kent“. [151]

Als auch dort kein Fortkommen mehr war (ab 1910 wurden dort keine Vorlesungen mehr zur homöopathischen Materia Medica gehalten), kehrte Kent 1910 zum Hering Medical College zurück, das jedoch 1913 ebenfalls schließen musste. Pierre Schmidt beschrieb die Zeit in Chicago als Höhepunkt des Schaffens in Kents Leben. In der stark frequentierten Poliklinik habe Kent zahlreiche Ärzte ausgebildet, seine Kurse seien gut besucht gewesen. Wenn er seinen Schülern Fragen stellte, sei er streng gewesen: „Wer keine guten Antworten gab oder überhaupt nicht antworten konnte, wurde nicht mehr gefragt. Das war für jemand, der den Wunsch hatte, ein guter Homöopath zu werden, sehr beschämend“. [152]

Um der Verwässerung der Homöopathie durch Vermischung mit allopathischen Methoden zu trotzen, gründete Kent mit seinen Schülern im November 1910 die Society of The Homoeopathicians, ein erneuter Versuch, sich von anderen unorthodoxen Gruppen abzuheben und reine Homöopathie zu praktizieren. Als Mitglieder waren Schüler Kents zugelassen. Auf der Mitgliederliste fanden sich ca. 40 Teilnehmer. Man stellte Prinzipien und Regeln auf, an die sich jedes Mitglied zu halten hatte. Dazu gehörte, dass ein Mittel nur eine gewisse Zeit und nur in potenzierter Form gegeben werden sollte. Chirurgische Behandlung durfte nur so durchgeführt werden, wie sie Hahnemann in § 186 des Organons erlaubte, und die „Unterdrückung“ von Symptomen durch allopathische Mittel war unerwünscht. 1912 wurde das erste Journal der Society herausgegeben: The Homoeopathician. Die Zeitschrift erschien bis zum Tod Kents 1916. [153]

1900 kam die Buchedition der Lectures on Homoeopathic Philosophy heraus. Das Buch war aufgrund von stenographischen Mitschriften zustande gekommen, und Kent hatte nur wenig Zeit, es zu korrigieren. Laut Pierre Schmidt habe er in seinen Vorlesungen über homöopathische Philosophie das Organon aufs Pult gelegt und seine eigenen Überlegungen dazu entwickelt. So konnte es sein, dass er über den Paragraphen 1 des Organons eine Stunde dozierte. Als Kent nach Chicago umzog, bekam er zahlreiche Glückwunschbriefe, die im Journal des Dunham Medical College veröffentlicht wurden. Darunter ein Brief von Maybelle M. Park, eine ehemalige Studentin Kents. Ihre Beschreibung drückt die Verehrung aus, die die Schüler Kent entgegen brachten. [154]

Ähnliche Töne hörte man auch in Deutschland von dem deutschen Schüler Kents, Willy Erbe. Die Kommentare erscheinen wichtig, weil sie wenige ganz persönliche Eindrücke der Schüler Kents widerspiegeln. Erbe, als einziger bekannter deutscher Schüler, soll hier ebenfalls zu Wort kommen, um seinen Eindruck von Kent zu vermitteln. Er schrieb 1937 im Vorwort zu Kents Repertorium, das er übersetzt hatte: „Menschen, die den kommenden Generationen durch ihre Lebensleistung etwas zu sagen haben, und welche die Arbeit der Späteren richtungsgebend beeinflussen, müssen von besonderer Bedeutung sein. Das war Prof. Kent. Wer den Mann sah, hatte sofort das Gefühl, eine Persönlichkeit vor sich zu haben. Ein untersetzter, breitschultriger Mann mit gemessenem Gang und einem Kopf von ungewöhnlicher Dimension. Dieser Kopf war das auffallendste an dem Menschen Kent. Der volle, weiße Scheitel, der buschige Schnurrbart prägten einen Patriarchenkopf. Während der Vorlesung einen kleinen, weißen Zettel von der Größe eines kleinen Notizblattes in der Hand haltend, sprach er sonst vollkommen frei mit rollender, tiefer Stimme und leichter, theatralischer Färbung über die Arzneimittel, ihren Charakter und kleinere Wesenszüge erläuternd. War die Vorlesung vorüber, ging man mit dem Bedauern, dass die Stunde schon zu Ende war, aus dem Kolleg“. [155] In seinen Worten kann man seine Bewunderung heraushören und spüren, dass er Kent wirklich persönlich begegnet war.

Diese Briefe und Vorworte sind ein Zeichen der Verehrung, die Kent stets von seinen Schülern erfuhr. Kent war ein Mensch, der tiefe Emotionen in den Menschen auslöste und immer wieder begeisterte Anhänger oder schroffe Gegner seiner Person hervorzubringen vermochte. Kent war ein Lehrer, der besonders nach seinem Tod Einfluss auf die Homöopathie in der Welt hatte. Sein Repertorium, seine Vorlesungen und seine Materia Medica wurden in viele Sprachen übersetzt. Unter seinen Schülern war er mehr als nur ein Lehrer. Er wurde geliebt und verehrt. Seine Schülerin Julia M. Green beschrieb den alten Kent mit folgenden Worten: „The small man, shrunken and gray when I first saw him, but giving the impression of force and clearness; the keen eyes whose direct gaze through his glasses looked you through and through; the quiet strength of personality when talking of homoeopathy which dominated him – there was no room for comment on his ill-fitting and ill-assorted clothes; he ignored his clothes and his darf office in his consuming enthusiasm for his work, and his listeners ignored them too. His health was very poor after I knew him; if vigorous in early manhood he must have been a tower of strength“. [156] Immer wieder fand sich der Hinweis auf die schwache Gesundheit Kents.

Kents Streben war es, die Hahnemann’sche Homöopathie zu lehren. Als die International Hahnemannian Association, die sich speziell aus diesem Grunde gebildet hatte, nicht mehr seinen Zielen entsprach, trat Kent 1899 aus. In einem Brief an Thomas Lindsley Bradford schrieb Kent: „I quit the IHA in disgust 7 or 8 years ago and have none of the IHA Transactions. The IHA has not done any useful work for 10 years”. [157] Erst 1905 sei er wieder eingetreten. [158] Auf den Tagungen des American Institute of Homeopathy war er 1909 als Gastredner zu hören. Er hielt einen Vortrag über Carboneum sulphuratum, der von einigen Homöopathen kommentiert wurde. In einem Kommentar unterstrich er, dass trotz guter Prüfung der Arzneimittel und Beweis am Krankenbett doch immer etwas fehle. [159]

1905 wurden die Lectures on Homoeopathic Materia Medica veröffentlicht. Vorlesungen über Arzneimittellehre hielt Kent in ganz eigener Weise. Pierre Schmidt beschrieb dies so, dass Kent einen Band der Guiding Symptoms von Hering aufschlug, um dann in einprägsamer Art und Weise das Mittel so lebendig wie möglich darzustellen. [160] In Chicago verbrachte Kent Jahre damit, sein Repertorium zu verbessern. 1908 kam die zweite Auflage des Repertoriums heraus.

Kent war bedeutsam für die Blütezeit der Homöopathie in Amerika. Warum aber wird Kent in Martin Kaufmans Buch Homoeopathy in America [161], in Norman Gevitz’ Other Healers: Unorthodox medicine in America [162] und in Martin Dinges’ Weltgeschichte der Homöopathie [163] im Kapitel: „Ärzte, Patienten und Homöopathie in den USA“ mit keinem Wort erwähnt? [164] Liegt es daran, dass Kents Rolle in den USA zu dieser Zeit doch nicht so bedeutend war? War sein Einfluss damals regional begrenzt? Immerhin bestand die Society of Homoeopathicians nur aus ca. 40 Mitgliedern, wovon einige in Großbritannien lebten. Eine kleine Notiz seiner Person findet sich im Artikel „The public face of Homoeopathy“ von Naomi Rogers, die erwähnt, dass die Schriften der klassischen Homöopathie Kents und Hahnemanns trotz Erstarken der „New Homeopathy“ einen großen Markt fanden. [165] Kents Einfluss auf die Homöopathie in den USA und der Welt scheint erst durch die Schüler, die seine Lehren in die ganze Welt trugen, maßgeblich geworden zu sein. Eine andere Meinung zu diesem Thema vertritt Francis Treuherz, der in seinem Artikel: „The origins of Kents Homoeopathy“ schreibt: „The ultimate homoeopath of the period when homoeopathy flourished in America was Kent. Ultimate for his use of high dilutions, for his meticulous scholarship in the creation of his repertory, for his descriptions of remedies in his lectures on Materia Medica, for his lectures on the Organon, for his philosophy and for his reputation as a prescriber, using his art to bring his scholarship to bear on his patient”. [166]

Kent war für viele einzigartig, was seine Lehre anging. Er beschrieb als einer der Ersten die Arzneimittellehre nicht mehr nur Symptom für Symptom, entsprechend den Arzneimittelprüfungen, sondern er verlieh dem Arzneimittelbild einen Charakter, er machte es lebendig, wie es schon im Zitat von Maybelle Park deutlich wurde. Kent ist weiterhin bedeutsam durch seine Organoninterpretationen (Lectures on homoeopathic philosophy), die Entwicklung der Kent’schen Skala, auf die sich heute fast alle Homöopathen mehr oder weniger beziehen (Anwendung von Potenzen in 10er Dekaden: M, XM, CM und MM), und durch seine klaren Beschreibungen zur Bewertung der Symptome, die homöopathische Verschlimmerung und die zweite Verschreibung (s. Lectures on homoeopathic philosophy).

Sein bekanntestes Werk war und bleibt das Repertorium, das, nach dem Organon Hahnemanns, das meist verkaufte homöopathische Werk sein dürfte. Seine Haltung zur Homöopathie kann man aus einem persönlichen Brief Kents an Margaret Tyler entnehmen. Tyler hatte ein Kartenrepertorium entwickelt, das sie Kent geschickt hatte und um dessen Meinung sie ihn bat: „Dear Dr. Tyler: I am glad to get your letter. I know you want me to be frank with you or my advice would not be worth much. Your card system is like ready made shoes that must fit everybody, regardless of the misery they cause. The first and highest thought in Homoeopathy is the individual. OUR WORK IS INDIVIDUALIZATION. Your cards will destroy the highest ideal of Hahnemann and my teaching as it aims to fit and adjust remedies to the masses instead of the each one. The card system destroys growth and progress that must come from working out the case, every case, in the work of every beginner. Give a beginner a card system and that will be the end of him. He will not grow. He will not learn or master the materia medica. I once planned a similar scheme, but I soon saw that I must work out every case, making use of the fullest repertory accessible; curtailing nothing less I miss something important, and this meant a life charged against my conscience… When I worked in a clinic I prescribed for twenty five to forty patients in one and a half hours and never neglected anybody. This can be done with anybody I think, unless he works uphill with his cases. A doctor should know the generals, common and peculiars, so that he can use them quickly if he has a large business. […] I want to see my pupils in your country become more than mediocre in their old age. I want them to do what I do. I want them to become masters. Now, my dear friend, don’t spoil the good work. I am saying these things with the FULLEST LOVE FOR ALL OF YOU, for our cause, for me, for you… I know very well that some of our young men have not the capacity to grow into healing artists, such might not be dwarfed by the cards. Yet others have the ability and should be helped in every way to the highest development. I fully appreciate your efforts, and am quite willing that you should attribute my failures to approve your cards to old age and stupidity. Sincerely, James Tyler Kent“. [167] Die Briefe Kents zeugen einerseits von seinen klaren Vorstellungen, andererseits aber auch von seiner Liebesfähigkeit und Freundschaft. Auch das Ausmaß seines Arbeitspensums wird hier deutlich. Bezüglich des Repertoriums betonte er, dass man immer das ausführlichste Repertorium haben müsse.

Kents Wirken in Chicago fiel in die Zeit, in der der Niedergang der Homöopathie in den USA immer deutlicher wurde. Josef M. Schmidt berichtet darüber: „Der ab der Jahrhundertwende deutlich werdende institutionelle Niedergang der Homöopathie in den USA liegt vor allem in der von der AMA langfristig geplanten medizinischen Ausbildungsreform begründet. Um den erschreckend schlechten Ausbildungsstand der Ärzte zu verbessern, setzte die Association of American Medical Colleges 1895 eine Studiendauer von mindestens vier Jahren fest“. [168] In den Zulassungsprüfungen wurde der Homöopathie kein Raum gegeben, so dass die Studenten mehr damit beschäftigt waren, ihre schulmedizinische Ausbildung zu vollenden, als dass sie noch Zeit und Muße hatten, Homöopathie zu erlernen. Die Folge war, dass die Absolventen homöopathischer Schulen regulär ausgebildete Schulmediziner waren, aber in ihrem Studium weniger über Homöopathie hörten, als das in den Anfängen der Fall gewesen war.

Als einschneidendes Ereignis gilt die Veröffentlichung des Flexner-Reports. Abraham Flexner (1866-1959) hatte 1910 eine Untersuchung über die Verwirklichung der neuen Ausbildungsrichtlinien durchgeführt, mit dem Ziel, die medizinischen Colleges zu reduzieren und den Ausbildungsstandard zu vereinheitlichen. 1904 gab es noch 166 medizinische Colleges. Nach 1910 wurden diese auf 31 reduziert. Von den Schließungen betroffen waren auch viele homöopathische Colleges. Bei Josef M. Schmidt heißt es dazu: „Von den 1900 existierenden 22 homöopathischen Colleges existierten 1913 noch zehn, 1919 noch fünf und 1923 nur noch zwei in New York und Philadelphia, die beide noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts den Unterricht in Homöopathie einstellten“. [169] Das Hering Medical College, an dem Kent gelehrt hatte, musste 1913 ebenfalls schließen. Am längsten hielt sich das Hahnemann Medical College in Philadelphia, das schon vor dem Flexner Report großen Wert auf eine fundierte schulmedizinische Ausbildung über vier Jahre gelegt hatte. Nach dem Flexner Report informierte der Dekan die ehemaligen Studenten mit folgenden Worten: „The modern physician must be able to apply modern science to the treatment and elimination of disease. Samuel Hahnemann, Constantine Hering and many other prominent Homeopathic physicians have realized the necessity of a solid scientific foundation“. [170]

Bei näherer Untersuchung fällt neben diesen äußeren wirtschaftlichen und politischen Veränderungen in den USA, die sicherlich zum Schließen vieler Institute beitrugen, noch etwas anderes auf. Es gab eine starke Uneinigkeit unter den Homöopathen, einen ständigen Drang, sich von anderen weniger Hahnemann-treuen Homöopathen abzuheben und neue Gesellschaften zu gründen. In den Colleges gab es Querelen darüber, ob Pathologie Teil der Ausbildung sein müsse. Anstatt sich zu einigen, eröffnete man lieber eine neue Klinik bzw. ein neues College. Schon zwischen den beiden großen Homöopathen Adolph von Lippe und Constantine Hering war dieser Streit die Ursache der Trennung und der Eröffnung neuer Institute gewesen. Exemplarisch für andere Städte und andere Homöopathen soll das am Beispiel Chicagos gezeigt werden. Fritz Donner veröffentlichte 1927 und 1928 in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung eine Artikelserie mit dem Titel „Homoeopathica Americana“. [171] Er betrachtete die Geschichte der Homöopathie in den USA sehr ablehnend, besonders die Hahnemann-treuen Homöopathen wurden Objekt seiner Kritik. Er selbst gehörte der naturwissenschaftlich-kritischen Richtung an. Trotz seiner Polemik ist der Artikel von großem Wert, da er eine gute Zusammenfassung der Entwicklung der homöopathischen Colleges in den USA gibt (s. Kap. 3).

Es soll an der Situation der Colleges in Chicago gezeigt werden, wie die Aufsplitterung in viele Colleges möglicherweise zum Verlust aller homöopathischen Colleges führte. 1861 entstand eine der ältesten homöopathischen Fakultäten: das Hahnemann Medical College. [172] Ein zweites College wurde im Jahre 1876 gegründet: das Homoeopathic Medical College of Chicago (Chicago Homoeopathic College). Beide vereinigten sich 1905 (laut King schon im Jahre 1904 [173]) zum Hahnemann Medical College, das noch bis 1920 bestehen blieb. Im Jahre 1910 habe es im College viel zu bemängeln gegeben. Die Laboratorien seien unzureichend ausgestattet gewesen und die Studenten hätten keinen Zugang zur angeschlossenen Klinik gehabt. Beides sei jedoch in den folgenden Jahren geändert worden. Im Jahre 1910 habe man die Vorlesungen über homöopathische Materia Medica eingestellt. 1892 hatte Henry C. Allen das Hering College in Chicago gegründet, als Gegenpart zu den weniger streng geführten Colleges. Im Hering College sollte „reine“ Homöopathie gelehrt werden. Doch auch dort gab es Differenzen, und so gründeten andere Mitglieder 1895 das Dunham Medical College. [174]

Im Jahre 1896 gab es in Chicago fünf verschiedene homöopathische Colleges. Kent kam 1900 mit seiner Post Graduate School ans Dunham Medical College. Doch auch dieses College konnte sich nicht lange allein halten. Circa im Jahre 1902/1903 wurde das Dunham Medical College mit dem Hering College vereint. Kent wurde dorthin berufen, wo er auch als Belegarzt im angeschlossenen Klinikum arbeitete. [175] Viele Fakultätsmitglieder des Hering College waren ehemalige Studenten der Post Graduate School, die als Schule nun endgültig aufgelöst war.

Donner schreibt dazu: „Es gab im Jahre 1896 in Chicago mehrere homöopathische Ärzteschulen, zusammen fünf verschiedene, jede mit einem eigenen Lehrerkollegium, das Hahnemann Medical College of Chicago, das Homoeopathic Medical College of Chicago, die damals noch homöopathisch geleitete Nachtschule, das Medical College der National University of Chicago und dazu noch die ‚rein homöopathischen’ Schulen, Hering College of Homoeopathy und das Dunham Medical College. Anstatt dass eine homöopathische Schule in Chicago bestand, mit gut eingerichteten Laboratorien und ausreichenden klinischen Hospitaleinrichtungen, die Ärzte ausbilden konnte, die in allen Zweigen der ärztlichen Kunst und Technik versiert waren, gab es also fünf verschiedene Schulen, die, wie das ja unter solchen Umständen nicht anders zu erwarten ist, teils mehr, teils weniger schlecht finanziell fundiert waren“. [176]

Als Ursachen des Niederganges der Homöopathie in den USA werden je nach Autor unterschiedliche Faktoren gesehen: Zersplitterung der Homöopathie in klassische, ultra-orthodoxe und kritische, den Naturwissenschaften zugewandte Homöopathen; dadurch viele Institute, die schlecht ausgestattet waren, sich nicht lange halten konnten und schließlich dem Flexner-Report zum Opfer fielen; finanzielle Absicherung der Schulen nur durch private Geldgeber, dadurch große Abhängigkeit und oft ein Schließen von Schulen, wenn der Geldgeber insolvent wurde. Weiterhin der Erste Weltkrieg, das Aufkommen und der Erfolg der Schulmedizin, die geänderten Ausbildungsrichtlinien und die Weltwirtschaftskrise 1929, bei dem das Stiftungskapital vieler Einrichtungen dem Börsencrash zum Opfer fiel. [177]

Daniel Cook und Alain Naudé sehen als grösstes Hindernis in der Ausbreitung der Homöopathie die Verwässerung der Homöopathie durch die meist schlecht ausgebildeten „sogenannten“ Homöopathen: „In the last century, the greatest obstruction to the success of homoeopathy was pseudo-homoeopathy“. [178] Es habe nicht wirklich ein goldenes Zeitalter der Homöopathie in den USA gegeben, von 12.000 Homöopathen im Jahre 1900 waren 11.000 Eklektiker, die in den wenigsten Fällen homöopathisch gearbeitet und sich mehr am ökonomischen Profit orientiert hätten. Viele gaben schließlich die Bezeichnung Homöopath auf. [179] Kent sei einer der ganz wenigen gewesen, der gute Homöopathie anwendete und Homöopathie lehrte. „James Tyler Kent was the only homoeopath in this entire era to give a complete course at any American homoeopathic medical college on the principles contained in the Organon“. [180]

Martin Kaufman sieht auch im mangelnden Nachwuchs und dem Tod vieler altgewordener Homöopathen eine weitere Ursache für den Niedergang der Homöopathie. Und er schließt sich der Meinung an, dass durch „revolutionary changes in American medical education“ der Niedergang eingeläutet wurde. [181] Er zitiert aus dem Homeopathic Recorder, die Colleges seien geschlossen worden, denn „they didn’t teach pure homeopathy“. [182]

Zwei Kent-Schülerinnen, Julia Green und Julia Loos, versuchten durch Gründung einer Foundation die Homöopathie populärer zu machen. [183] 1928 hatte die Illinois State Homeopathic Society 3.000 Mitglieder, 1.000 allein in Chicago. Charles Kettering von General Motors spendete zwei Millionen Dollar für die Erforschung der Homöopathie. Die Weltwirtschaftskrise tat jedoch ihr Übriges, die wenigen Bemühungen zu schwächen. [184] Die Mitgliederzahl im American Institute of Homeopathy in der heutigen Zeit beläuft sich auf knapp etwas über 100 Homöopathen in den ganzen USA. [185] Die Mitgliederzahl inklusive Laien und tätige Homöopathen im National Center for Homeopathy betrug 1997 etwas mehr als 5.000 Mitglieder. [186]

Kent arbeitete unermüdlich, doch seine Gesundheit hatte in den Jahren größter Betriebsamkeit gelitten. Schon im Jahre 1905 entschuldigte er sich bei einem Vortrag mit seiner schlechten Gesundheit: „I must apologize to the association for not having written a paper, but I have been too tired and too ill to prepare one: I made the mistake of putting its preparation off too long, until when College closed, I had a little break-down and since I have not been able to write a paper“. [187] Ähnlich schrieb er 1910 in einem Brief an die Homöopathin Margret Tyler: „While I am only 61 years old, I am worn out. I have been lecturing to classes on homoeopathy and materia medica since 1883, and it has been a bitter fight continously. Though I have enjoyed it, it has worn me out. For fifteen years I gained little but sneers; then, now and then a pupil would try and do it”. [188] In dieser Zeit war Kent anscheinend nicht nur Dekan des Chicago Homoeopathic Hospital, sondern auch Mitglied bei der Illinois State Homoeopathic Society, in der Society of Homoeopathicians (die er gegründet hatte), im American Institute of Homoeopathy, in der International Hahnemannian Association und ein Ehrenmitglied der British Homoeopathic Medical Society gewesen.[189]

Im Jahre 1910 erwarb Kent mit seiner Frau in Stevensville im Staate Montana ein Grundstück und ließ darauf ein Haus bauen, in das er sich in den Ferien gern zurückzog. So auch im Frühsommer des Jahres 1916. Er wollte ein Lehrbuch schreiben und sich wieder erholen, doch eine schwere Krankheit fesselte ihn ans Bett. In der Todesanzeige, die in den Western News erschien, steht, dass er an der Bright’s disease (eine Form der Glomerulonephritis) erkrankt war, kompliziert durch eine hartnäckige Bronchitis. Am 5. Juni 1916 erlosch sein Leben nach einem intensiven und arbeitsreichen Wirken. Sein Tod wurde während des Ersten Weltkrieges in Europa nur wenig in deutschen Journalen beachtet. Er starb in Stevensville, Montana, wo er auf dem drei Meilen entfernten Friedhof Sunny Orchards begraben wurde. [190] In den Western News stand am 9.6.1916 folgender Nachruf: „Noted physician passes away. Stevensville, June 5 – Dr. James Tyler Kent, aged 67, one of the most distinguished physicians in the United States and until a month ago a resident of New York, died at his home here last night. His death was due to Brights disease, complicated with bronchitis. Dr. Kent has been confined to his bed ever since his arrival to Stevensville. Six years ago he purchased a 40 acre orchard tract here and built a home on the tract. He intended to come sooner than he did, but was delayed by the preparation of his final contribution to medical literature, a book that is now in the process of being published. Dr. Kent was dean of a post- graduate medical school at Philadelphia for nine years and was noted as a lecturer. He was a homeopath and was known internationally for his writings on medical subjects. The funeral was held last Tuesday with internment in the Sunnyside cemetery at Three mile“. [191] Seine Schüler waren voller Trauer und Lobeshymnen für den verstorbenen Lehrer. So schrieb Gibson Miller, dass die Welt einen ihrer größten Männer verloren habe. Seine Studenten seien überall auf der Welt verstreut und „proclaim with deepest gratitude how much they owe to the genius of the master where teachings have enabled them to conquer disease and relieve the sufferings of humanity“. [192]

John Weir konnte nicht glauben, dass Kent wirklich tot war. Er meinte, für viele sei er nur ein Einfluss und eine Inspiration gewesen, sie hätten ihn nicht selbst gekannt. Aber er lebe doch immer weiter. Seine großartige Idee sei es gewesen, junge Menschen auszubilden und sie in alle Welt zu schicken, damit sie selbst zu Lehrern würden. „He rose to be one of the greatest Homoeopaths that ever lived, and to exert an influence second to none in his time“. [193] Kents Charakter lässt sich aus seinen Briefen erahnen. Er schrieb an Weir folgende Sätze: „It always seems so strange to me to hear that I have attempted a departure from Hahnemann’s teaching. I simply try to show what it means, and how to apply it after one hundred years of application. I have made no discoveries. I have nothing that I can call my own“ und in einem seiner letzten Briefe schrieb er: „I am growing old, and must leave the work to be done by my pupils. Many of them are doing grand work, and they will work more independently and rely on themselves better and more after I am gone“. [194] Margaret Tyler zitierte einige Textpassagen aus Briefen Kents, die ebenfalls von großer Liebe für seine Schüler durchdrungen sind: „I am now very tired… I have worked hard in the profession for forty- two years… We have a most beautiful home in the mountains. Come and see it, and stay long with us“. Und Margaret Tyler schloss mit den Worten: „Kent’s monuments will stand – his ‘Repertory‘, his ‘Materia Medica Lectures‘ , his ‘Philosophy‘, and his pupils“. [195]

Ein besonderer Schüler Kents war Alonzo Eugene Austin, bei dem Pierre Schmidt gelernt hatte. Im persönlichen Exemplar Kents des englischen Organons, das sich in der Pierre-Schmidt-Bibliothek im Privathaus von Hansjörg Hée in St. Gallen befindet, steht ein handschriftlicher Vermerk Austins, dass er den Diamantring und das Original Organon Kents erhalten habe: „Sent to me with his diamond ring from Montana, July 9, 1916. by Mrs. Kent. Eugene Austin“. [196] Darunter ein Vermerk, der von Pierre Schmidt stammen dürfte: „Diamond and book given to Dr. Pierre Schmidt from Geneva (Switzerland)“. [197] Austin hatte eine besondere Beziehung zu Kent, die sich in diesen besonderen Geschenken auszudrücken scheint. Sein Nekrolog von 1917 zeugt von seiner starken Verbundenheit und Treue zu Kent: „O Kent, no tribute I can pay can equal the dept I owe! You sent for me. You poured your love upon me, taught me. You gave me many privileged hours in your Chicago office; took me into closer fellowship for days and nights in your home and garden at Evanston. Later, when I was again in my office in New York, and death was drawing me away, you called me back by your skill. When physicians failed to cure, to you they brought the hopeless minds and bodies of their patients, and you healed the many. You were moved to tears when I told you how in Pere Lachaise I gratefully covered with flowers the grave of Samuel Hahnemann. O Kent, beloved friend, elder brother, physician, master, seer, let a double portion of thy spirit rest on all the loyal followers the world over who would unite with me in laying an unfading tribute of appreciation of the choicest treasures of our heart’s grateful, admiring devotion on your bier!“. [198]

Eine weitere deutsche Meinung zu Kent findet sich im Büchlein Homöopathische Schätze von und mit Pierre Schmidt von Horst Barthel. Barthel beschrieb, dass Pierre Schmidt der Kentismus so am Herzen lag, dass er alles in Amerika Gelernte in Europa weitergegeben habe. Kent habe das Bauwerk Hahnemanns fortgesetzt und es perfektioniert. „Wenn auch Kent autoritär und eine ausgeprägte Persönlichkeit war, so verbeugte er sich doch immer vor demjenigen, den er als seinen Meister erachtete, Samuel Hahnemann, dessen homöopathische Lehre er nur weiterentwickelte“. [199]

Roland Methner fasst in einem Artikel über Kent im Jahre 2010 den Einfluss Kents auf die Homöopathie folgendermaßen zusammen: „Kent beeinflusste und veränderte die Homöopathie Hahnemanns wie kein anderer vor ihm. Gleichzeitig prägte er fast alle wichtigen Lehrer nach ihm (z.B. Pierre Schmidt, Margaret Tyler, Vithoulkas u.a.), und seine Art der Homöopathie ist heute weltweit dominierend. Auf seinen Ideen, Büchern und Aussagen basiert der Großteil aller homöopathischer Ausbildungen“. [200]

Anmerkungen:

Die gesamte Literaturliste finden Sie in der „Rezeptionsgeschichte James Tyler Kents (1849 bis 1916) in Deutschland von 1886 bis 1986“ von Dr. Heike Kron, im Selbstverlag veröffentlicht und über die Autorin zu beziehen.

Das vorliegende 2te Kapitel aus diesem Werk stellte uns die Kollegin Kron freundlicherweise für diese Website zur Verfügung , wofür wir ihr sehr danken!

  1. Schmidt, J.M. (2001), 219.
  2. Cook, Naudé (1996), 1.
  3. Coulter (1982), 101; Tischner (1950), 197.
  4. Schmidt, J.M. (2001), 219.
  5. Gypser (1985), 246-253; Hering, Carl (1918), 11-37
  6. Rogers (1998a), 16.
  7. King (1905), Bd. 3, 256.
  8. Winston (1999), 52, 56; Dinges (1996b), 310; Rogers (1998a), 13 ff.
  9. Rogers (1998a), 14.
  10. Rogers (1998a), 55-58.
  11. Winston (1999), 52, 56; Schüppel (1996), 310.
  12. Schmidt, J.M. (1996), 112. Vgl. http://http://www.drexelmed.edu/home/AboutTheCollege/History.aspx. Datum desAbrufs: 12.10.2012.
  13. Rogers (1998a), 14-15.
  14. Dinges (1995), 144-145.
  15. Rothstein (1985), 160.
  16. Schüppel (1996), 307.
  17. Dinges (1995), 163-164. 42 Kaufman (1990), 99-123.
  18. Gevitz (1990), 12.
  19. Rogers (1998b), 40-41.
  20. Dinges (1995), 148.
  21. Rogers (1998b), 37.
  22. Rogers (1998b), 38. Vgl. Schmidt, J.M. (1998a), 153-156.
  23. Currim (1996), 1.
  24. Schüppel (1996), 302. „1820 existierten in den USA erst dreizehn Colleges, 1850 bereits 42“.
  25. Dinges (1996a), 271.
  26. Dinges (1995), 154-155.
  27. Dinges (1995), 155; Rothstein (1985), 296.
  28. Schüppel (1996), 298-299. Überliefertes Zitat Herings: „Hahnemann, der meinen Finger rettete, gab ich meine ganze Hand und der Verbreitung seiner Lehre nicht nur meine Hand, sondern mich ganz und gar mit Leib und Seele“. Vgl. Rogers (1998a), 17.
  29. Schüppel (1996), 298-301.
  30. Rogers (1998a), 21 ff.
  31. Cook, Naudé (1996), 14-15.
  32. Schüppel (1996), 296-317.
  33. Rogers (1998b), 31-64.
  34. Schmidt, J.M. (1998a), 140 ff.
  35. Winston (1999), 38.
  36. Winston (1999), 54.
  37. Kluge (1907), 141-142.
  38. Winston (1999), 77, 228.
  39. Rogers (1998b), 33 ff.
  40. Winston (1999), 74 ff.
  41. Cook, Naudé (1996), 1.
  42. Rogers (1998b), 31-64.
  43. Winston (1999), 76; Campbell (1984), 88-89.
  44. Coulter (1982), 328-401.
  45. Coulter (1982), 357.
  46. Schmidt, J.M. (1996), 106-107.
  47. Dinges (1995), 160.
  48. Rogers (1998b), 36.
  49. Cook, Naudé (1996), 9.
  50. Miller (1915), 10.
  51. Winston (1999), 154.
  52. Schmidt, P. (1962b), 278-293.
  53. Kent (1993c), XIX.
  54. Gypser (1991), 41-44; Gypser (1996).
  55. Michot-Dietrich (1985), 236-245.
  56. Gypser (1991), 41-44; Gypser (1996); Michot-Dietrich (1985), 236-245.
  57. Winston (1999), 154.
  58. Michot-Dietrich (1985), 241.
  59. Michot-Dietrich (1985), 243.
  60. Gypser (1991), 41-44; Gypser (1996).
  61. Michot-Dietrich (1985), 240.
  62. Michot-Dietrich (1985), 244.
  63. Emailkontakt zur Universität (Medical College) vom 6.10.2011: „Dear Heike, Thank you for contacting the Archives of the Frederick L. Ehrman Medical Library. I’ve done some preliminary research and so far have not found a student record for James Tyler Kent. As you may know, Bellevue Hospital was affiliated with the University Medical College (now the Langone Medical Center) from 1889-1935, so while we have some records form this time, a large number remain at Bellevue Hospital, whose archive has been closed to the public for some time. I will continue to look through registration records for mention of Kent, and will update you on any progress.
    Best, Glenda S. Barahona. Archives Assistant Ehrman Medical Archives. NYU Langone Medical Center. 550 First Avenue. New York, NY 10016“.
  64. Winston (1999), 154; Dose, Singh (1989), 96-100.
  65. Loos (1912), 1.
  66. Gypser (1991), 41-44; Gypser (1996).
  67. Gypser (1996).
  68. Haller (1997), 18-22.
  69. Haller (1997), 20.
  70. Winston (1999), 158.
  71. Gypser (1991), 41.
  72. Gypser (1991), 41; Michot-Dietrich (1985), 244.
  73. Gypser (1991), 41; Dose, Singh (1989), 96-97.
  74. Winston (1999), 155.
  75. Gypser (1996).
  76. Winston (1999), 158-159.
  77. Winston (1999), 156.
  78. Gypser (1991), 41.
  79. Gypser (1991), 41.
  80. Winston (1999), 155.
  81. Schmidt, P. (1994), 11-12. „Da erkrankte seine Frau an Entkräftung, Schlaflosigkeit und Anämie, was sie zu monatelanger Bettruhe zwang. Sowohl er als auch mehrere Kollegen konnten ihr nicht helfen, so daß sich ihr Zustand verschlimmerte. Seine Frau bestand dann darauf, daß ein homöopathischer Arzt sie behandelte, obwohl Kent die Behandlung dieses ernsten Zustandes lächerlich fand. Der homöopathische Kollege Dr. Phelan, ein älterer Herr mit weißem Bart, besuchte sie, befragte sie im Beisein Kents mehr als eine Stunde und gab ihr einige kleinste Globuli zum Auflösen in Wasser und zweistündlichem Einnehmen bis zum Einschlafen. Über seiner Arbeit vergaß Kent, seiner Frau die dritte Gabe zu reichen. Und wie überrascht war er, als er beim Eintritt in das Zimmer sah, wie seine Frau tief schlief. Das war seit langer Zeit, trotz der Einnahme von vielen Drogen, nicht mehr vorgekommen. Der alte Arzt kam jeden Tag, und langsam wurde die Kranke besser, konnte sich sogar erheben, und einige Wochen später war sie komplett geheilt. Das, was kein Professor mit Ruf erreicht hatte, hatte dieser einfache homöopathische Praktiker vollbracht. Er hatte die Gesundheit seiner Frau auf schnelle, sanfte und dauerhafte Art wiederhergestellt. Das beeindruckte Kent zutiefst, dessen klarer und gerader Charakter ihn dazu verpflichtete, sich gegenüber seinem Kollegen zu entschuldigen, ihm seinen Skeptizismus und seinen Mangel an Vertrauen bei der ersten Visite zuzugeben und seine totale Umkehr seit der Heilung seiner Frau. Diese Heilung bewegte ihn so sehr, daß er sich entschloß, diese Therapie gründlich zu studieren. Unter Leitung von Dr. Phelan studierte er das Organon, arbeitete Tag und Nacht und las alle erhältlichen homöopathischen Werke. Man erzählte sich, daß er wochenlang ganze Nächte die ganze amerikanische homöopathische Literatur verschlang“.
  82. Schmidt, P. (1962b), 280.
  83. Winston (1999), 157.
  84. Gypser (1991), 42.
  85. Dose, Singh (1989), 99.
  86. Gypser (1991), 42.
  87. Loos (1912), 1; Methner (2010), 74.
  88. Gypser (1991), 42.
  89. Gypser (1991), 42.
  90. Winston (1999), 155, 160.
  91. Gypser (1991), 42.
  92. Winston (1999), 155.
  93. Winston (1995), 20-22.
  94. Gypser (1991), 42.
  95. Winston (1995), 20-22.
  96. Winston (1999), 155-162.
  97. Rogers (1998a), 67.
  98. Winston (1999), 162.
  99. Winston (1999), 155.
  100. Pacheco (2001), 5-9.
  101. Pacheco (2001), 6.
  102. Pacheco (2001), 6-7.
  103. Pacheco (2001), 8.
  104. Pacheco (2001), 9.
  105. Treuherz (2001), 10-38.
  106. Treuherz (2001), 19.
  107. Treuherz (2001), 21.
  108. Treuherz (2001), 24.
  109. Little (1998), o.S.
  110. Gypser (1991), 42.
  111. Winston (1999), 162, 528-533.
  112. Gypser (1996).
  113. Schmidt, P. (1962b), 282.
  114. Kent (1900b): „My dear bishop: As the Rev. L.P. Mercer has organized a new society in Evanston, Mrs. Kent and myself desire to associate with it. We therefore request that you send us letters of dismissal such as it is proper for us to have, that we may unite here. Our first service was held last Sunday and there were twenty members of the new church present. Mr. Mercer told me there were forty New Churchman in reach of Evanston and he expected to make it his headquarters shortly. At present we have afternoon service but after the first of the year we expect to have morning service. Sincerely, James Tyler Kent“. Letter to Re. W.F. Pendleton, Huntingdon Valley, Pa. from 13.11.1900.
  115. Kishore (2004), 83.
  116. Gypser (1991), 42.
  117. Gypser (1991), 42.
  118. Kent (1914b), 209: „In a short time I saw that the plan started upon by Lee was not what I had expected it to be; I told him so, and abandoned my effort to help him improve the repertory. Then he became nearly blind, of both eyes, and said that his health was nearly ruined, that he could not go on with the work, and would have to give it up. Taking up what had been started, I then revised it thoroughly and formed it according to my own plan, which you now have in my repertory. This is a compilation of all the repertories, so far as I was able to make it, upon the plan which I arranged and adopted. The plan followed chiefly Lippe’s, as shown in his small Handbook of Characteristics, gradually enlarging upon that work until it became what it was when the first fascicles were completed”.
  119. Kent (1914b), 209: „At one time Dr. Biegler of Rochester, was in my office, looking over the pages, and some of the Boston doctors coming to me in Philadelphia wanted to look it over; they said: ,Why can’t we have this repertory?’ I said: Because it will cost too much money. I have not made it for publication, but for myself, for my own use. It was made because of the demands of my business, and is the outgrowth simply of my own personal requirements. But I am willing that everybody should have it”.
  120. Schmidt, P. (1962b), 284.
  121. Gibson Miller (1999), 165.
  122. Villers, Cameron (1900), 32.
  123. Winston (1999), 190; Gypser (1991), 44.
  124. Winston (1999), 191.
  125. Wedepohl (2006), 67.
  126. Winston (1999), 192.
  127. Schmidt, P. (1962b), 283.
  128. Gypser (1991), 44; Winston (1999), 194.
  129. Winston (1999), 191. Maybelle M. Park: „The true teacher is one who can give to others and show them how to get for themselves, and through this inherent ability, Dr. James Tyler Kent has gained for himself a world-wide reputation. In lecturing on a remedy he makes it so walk and breathe and live that one cannot forget it. (…) Dr. Kent teaches materia medica by making it live, not by crowding the memory with keynotes, red tape, and worthless catch phrases, but by making each remedy an individual so real that when we meet the patient we recognize him by his photograph – as each detail of his aches and pains are detailed to us we recognize the finer lines and shadings of the photograph we have been holding in our mind. (…) Dr. Kent teaches homoeopathic philosophy by making it a part of ourselves, by making it live in us. (…) Under Dr. Kent’s teaching, Hahnemann’s Organon becomes the life force of homoeopathy, and the materia medica becomes the health force of humanity”.
  130. Erbe (1937a), VII.
  131. Winston (1999), 195.
  132. Winston (1999), 193.
  133. Winston (1999), 193.
  134. Kent (1909a), 196-204. „There is always something lacking in every proving, and even after we have begun to know from our clinical experience, there is something lacking“.
  135. Schmidt, P. (1962b), 283.
  136. Kaufman (1971).
  137. Gevitz (1990).
  138. Dinges (1996a).
  139. Rogers (1996a), 269-300.
  140. Rogers (2002), 354.
  141. Treuherz (1984), 130-149.
  142. Winston (1999), 201-202.
  143. Schmidt, J.M. (1996), 109-110.
  144. Schmidt, J.M. (1996), 111.
  145. Rogers (1998a), 91.
  146. Donner (1927a), 104-110; Donner (1928a), 31-61, 148-170.
  147. Donner (1928a), 40.
  148. King (1905), Bd. 3, 121.
  149. Winston (1999), 190-191; King (1905), Bd. 3, 118.
  150. King (1905), Bd. 3, 120-121; Donner (1928a), 164-165.
  151. Donner (1928a), 153.
  152. Rogers (1996a), 287-291; Schmidt, J.M. (1996), 109-112; Stübler (1980), 36-37; Campbell (1984), 84-88.
  153. Cook, Naudé (1996), 35.
  154. Cook, Naudé (1996), 1-41.
  155. Cook, Naudé (1996), 17.
  156. Kaufman (1971), 166. „At the same time, the homeopathic sect was being depleted by the deaths of many of the older members”.
  157. Kaufman (1971), 169.
  158. Rogers (2002), 359.
  159. Rogers (2002), 360.
  160. American Institute for Homeopathy (Abruf der Website vom 12.10.2012)
  161. Vigoureux (2002), 239-245; Persönliche Email vom 13.03.2012 des National Center of Homeopathy: „Thank you for your email. Here at the National Center for Homeopathy (NCH) we are a consumer based organization and we average at about 5,000 members. Since we are not a professional society or a regulating agency, we do not ask members if they are doctors upon joining. Some of our members volunteer that information and about 500 members list as practicing homeopathy professionally on our website. However, many more than 500 of our members are health care professionals“.
  162. Kent (1905c), 47.
  163. Winston (1999), 195.
  164. Kent (1993c), XXIV.
  165. Bedayn (1995), 13; Schmid, F.W. (1982), 373-378.
  166. Bedayn (1995), 13.
  167. Gibson Miller (1993), XI-XIII.
  168. Weir (1993), XIV-XV.
  169. Kent (1993c), XIV-XV.
  170. Tyler (1993), XV-XVII.
  171. Hahnemann (1895), o. S.
  172. Hahnemann (1895), o. S
  173. Austin (1926), 8-9.
  174. Barthel, H. (1994), 36.
  175. Methner (2010), 79.

Aus:
Rezeptionsgeschichte James Tyler Kents(1849 – 1916)
in Deutschland von 1886 bis 1986
Kapitel 2 (Seite 15 bis 43)
Dissertation von Dr. Heike Kron, München 2014
Veröffentlicht im Selbstverlag

2 Comments
  • Dr. Christoph Thomas

    3. Juli 2016 at 8:52 Antworten

    Liebe Heike, herzlichen Glückwunsch zu dieser wunderbaren, sehr inhalts- und detailreichen und damit äußerst lehrreichen sowie inhaltlich ausgewogenen Arbeit! Sie illustriert auch hervorragend vier wichtige Standpunkte Dr. Künzlis:

    1. Die Kentsche „philosophy“ bildet zusammen mit Hahnemanns „Organon“ und dem 1. Band seiner „Chronischen Krankheiten“ die Grundlage der klassischen Homöopathie.
    2. Zugleich stellt die Kentsche „philosophy“ eine Mischung aus zwei verschiedenen Elementen dar: allgemein verbindliche äußerst wichtige Grundlagen der klassischen Homöopathie auf der einen Seite und zeitbedingte und persönliche Ansichten Kents auf der anderen Seite. Es ist wichtig, beide Seiten zu erkennen und in produktiver Weise voneinander zu differenzieren.
    3. Die „Halbhomöopathie“ hat die strenge klassische Homöopathie in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit in den Untergang gerissen und gefährdet die klassische Homöopathie auch weiterhin in ihrer Existenz.
    4. Die Ausbildung homöopathischer Ärzte sollte eine Postgraduierten-Ausbildung sein und nicht die schulmedizinische Ausbildung ersetzen wollen.

    Noch eine kleine inhaltliche Ergänzung:
    Nach Aussage Künzlis in seiner Züricher Vorlesung stammt die Mitschrift der Kentschen „philosophy“, also seine Vorlesungen über das Hahnemannsche Organon, aus der Feder von Frau Dr. Ives. Ich nehme an, daß Künzli diese Information mündlich von Pierre Schmidt erfahren hat, daß sie also über Austin bzw. Gladwin und dann über Pierre Schmidt auf mündlichem Wege weitergegeben wurde.

  • Dr. Christoph Thomas

    3. Juli 2016 at 9:37 Antworten

    Noch eine Fortsetzung zu meinem eben gesendeten Kommentar:

    Die Mitteilung über Frau Dr. Ives habe ich nur ein einziges Mal von Künzli mündlich gehört und habe bislang nie und nirgendwo je wieder etwas über diese homöopathische Ärztin erfahren, der wir immerhin eines der wichtigsten Werke der Homöopathie mitzuverdanken haben – auch nicht in der französischen oder der deutschen Herausgabe der Kent-Theorie. Nicht einmal ihren Vornamen hatte ich bisher herausgefunden, obwohl ich seit mehr zwei Jahrzehnten auf der Suche nach ihr gewesen bin. Deshalb freue ich mich, daß Du mit Deiner Arbeit für mich die erste bist, die diese für die Homöopathiegeschichte wichtige Ärztin erwähnt.

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