Stationen des Werdens, Stationen des Wirkens – Jost Künzli von Fimmelsberg im Spiegel der homöopathischen Presse.
Christoph Thomas
Bei der Durchsicht der Arbeiten, die über Dr. Künzli verfaßt wurden oder über ihn berichten, fanden sich über den Lauf der Jahre eine Reihe interessanter Mitteilungen von Kollegen. Was mir von dem, was ich gelesen habe, informativ schien und gefallen hat, habe ich im folgenden auszugsweise zusammengestellt. Diese Auswahl ist also durchaus subjektiv.
1915-1941
„Verfasser wurde am 10. Oktober 1915 in St. Gallen als Sohn des Dr. med. Max Künzli geboren. Er besucht dort die Primar- und ersten Klassen der Kantonsschule (Gymnasium), kam darauf gesundheitshalber für drei Jahre nach Teufen (Appenzell), wo er später die Sekundarschule besuchte. Von dieser trat er ans Institut Dr. Schmidt auf dem Rosenberg in St. Gallen über, von welchem aus er im Frühjahr 1934 die Eidgenössische Maturitätsprüfung bestand. Seine Hochschulstudien absolvierte er in Zürich, mit Ausnahme von drei Semestern in Berlin (1937/38), Kiel (1938), Paris (1938/39). Sämtliche Examina legte er in Zürich ab, das Eidgenössische Staatsexamen im Sommer/Herbst 1941. Das praktische Halbjahr verbrachte er zur Hälfte an der Universitäts-Frauenklinik Zürich (Prof. Anderes), zur Hälfte an der medizinischen Abteilung des Kantons-Spitals St. Gallen (Dr. O. Gsell).“ (Curriculum vitae aus Künzlis Dissertation)
1944/45
„Schon während seines Studiums (…) hatte Künzli das Organon intensiv studiert. Der Wunsch, nun in dritter Generation als homöopathischer Arzt tätig zu sein, ließ ihn nach Abschluß der schulmedizinischen Ausbildung bei Stiegele anfragen, ob er dort Homöopathie lernen könne. Daß aber Stiegele seinen Brief mit „Heil Hitler“ unterschrieb, hielt Künzli davon ab, nach Deutschland zu gehen, so daß er sich mit der gleichen Frage an eine Klinik in den USA wendete. Diese verwies ihn mit der Bemerkung, sie hätten für solch gut ausgebildete Homöopathen keine Stellen, weiter an Herrn Dr. Engel in San Francisco. Dieser fragte ihn, warum er denn nach Amerika kommen wolle, wo doch in der Schweiz Dr. Schmidt säße, der als Schüler Austins ein indirekter Schüler Kents sei. Schmidt wäre der einzige, der ihm wirklich die richtige Homöopathie beibringen könne. So fragte Künzli nun eben bei Pierre Schmidt an, der ihn zu einer vorherigen Prüfung nach Genf eingeladen hatte. Für diese Prüfung bereitete sich Künzli intensiv vor, indem er von Jahr das Buch „40 Jahre Praxis“ fast auswendig lernte.“ (Michael Barthel, Berg am Starnberger See)
1946
„Künzli war dann ein Jahr lang bei Pierre Schmidt. Er saß jeden Tag im Wartezimmer zwischen den Patienten und mußte die Aufgaben, die ihm Pierre Schmidt gestellt hatte, abends nach der Praxis referieren. Er bekam z.B. die Aufgabe, Aconit herauszuarbeiten aus den verschiedenen Autoren bzw. Arzneimitteldarstellungen und mußte dann speziell referieren, welche Urinsymptome Aconit machen kann. Bei diesen Besprechungen, die oft bis Mitternacht dauerten, saßen auch manchmal französische Kollegen dabei.
Immer wieder rief ihn Pierre Schmidt ins Sprechzimmer, um ihm etwas Auffälliges an einem Patienten zu zeigen oder um ihn bei der gesamten Konsultation dabei sein zu lassen. So erinnert sich z.B. Künzli an eine Schaustellerin, bei der Pierre Schmidt nach der Konsultation noch im Beisein der Patientin ihn in englischer Sprache (damit die Patientin es nicht verstehe) darauf hinwies, wie typisch für Sulfur sprechend, die Patientin gekleidet war, nämlich mit roter Jacke, grüner Bluse, blauer Hose und gelbe Socken. Allerdings verstand die Patientin englisch, war über diese Schilderung so empört, daß sie wegging und nie mehr wiederkam. (…)
Von Pierre Schmidt ist er auch oft zu den verschiedensten Kongressen mitgenommen worden. Bei einem dieser Kongresse – so erinnert sich Künzli – benötigte er einen Smoking für einen Galaabend. Pierre Schmidt stellt ihm daraufhin seinen Rollce Royce mit Chauffeur zur Verfügung, so daß Künzli in diesem Geschäft wie ein Fürst bedient wurde.“ (Michael Barthel, Berg am Starnberger See)
1947/48
„In die danach folgende Zeit fiel die schwierige Übersetzung des Organons ins Französische [1], bei der Pierre Schmidt und Künzli als erste die Anweisungen Hahnemanns über die Herstellung der Q-Potenzen in die Tat umsetzen. Das erste Medikament, welches dann von beiden gemeinsam hergestellt wurde, war Sulphur gewesen. Sie potenzierten dann gemeinsam noch viele andere Medikamente.“ (Michael Barthel, Berg am Starnberger See)
Seminar von Dr. Voegeli 1958 in Darmstadt
26.-28.9.1958: „Künzli gab einen Abriß der „chronischen Krankheiten auf psorischer Basis“ [2], bei deren Darstellung er sich – nach Ansicht des Ref. etwas zu eng – an die Darstellung Hahnemanns hielt, während Voegeli die „chronischen Krankheiten auf sykotischer, luetischer und tuberkulinischer Basis“ darstellte.“ (G. Pfotenhauer) [Die kritische Bemerkung des Referenten ist bezeichnend für die damals unter homöopathischen Ärzten verbreitete Ablehnung Hahnemanns. Daß sich dies inzwischen gewandelt hat, ist wesentlich Verdienst der unermüdlichen Arbeit Künzlis. – C.T.]
- Liga-Kongreß 1960 in Montreux
26.7.1960: „Der erste Tag war dem Organon gewidmet (…) Am Anfang gab es eine ausgezeichnete Arbeit von Dr. Künzli über das Organon. Er sagte, er sei sicher, daß es in der Versammlung höchstens vier Homöopathen gebe, die das Organon gründlich gelesen und studiert hätten; er denke nicht, daß es mehr seien. Es lohne sich immer wieder, das Organon zu studieren und es häufig erneut zu studieren.“ (Pierre Schmidt, Genf)
„Nach der Mittagspause eröffnete Dr. Künzli, St. Gallen, die Nachmittagssitzung mit seinem Vortrag „Das Organon“ und bat seine Zuhörer, das „Organon“ als die Grundlage der Homöopathie, dem Hahnemann mit Vorbedacht den Titel „Werkzeug“ gegeben hatte, zu studieren und zu befolgen und es nicht als „altmodisch“ oder mit den Worten: „Das kann man heute doch unmöglich mehr durchführen“ beiseite zu legen. Er erinnerte an das prophetische Wort Constantin Herings: „Si l’homoepathie n’est pas appliquée d’aprés l’Organon, nous passerons dans l’histoire de la médicine comme une caricature.“
Nach einem Blick auf die historischen Vorläufer des „Organons“ kam Dr. Künzli auf den § 71 desselben zu sprechen und bezeichnete diesen als den Mittelpunkt und Leuchtturm des „Organons“. Er beschrieb die drei verschiedenen Heilungsmöglichkeiten, die homöopathische, die allopathische und die antipathische, und setzt sich mit ihnen kritisch auseinander. Als echt heilender Weg bliebe nur der homöopathische übrig. „Simila similibus curentur“ ist das Hauptheilgesetz, das Hahnemann aus der Dunkelheit der Vergangenheit geholt und uns bewußt gemacht hat. „Das Organon der Heilkunst ist“, nach den Worten von Prof. Ortega „der Codex, der diktiert, verbessert und vervollständigt wurde durch ein Genie – und das müssen wir immer wieder wiederholen -, das in der Medizin unerreicht ist.“
In der Diskussion (…) hielt Dr. P. Schmidt den Vortrag von Dr. Künzli für sehr gut, er erwecke unser Interesse am Studium des „Organon“, und er empfahl den Ärzten, jeden Tag einen oder zwei Paragraphen desselben durchzulesen und zu überdenken. (…)
Dr. Poix, Lyon, trug Bemerkungen zum § 246 der 6. Auflage des „Organon“ vor und sagte dabei, jede Besserung, die sich klar abzeichne, gestatte formal die Wiederholung der Arzneigabe. (…) Durch den von Hahnemann gewählten Verdünnungsfaktor 50 000 werde die Arznei immateriell, geistig und viel aktiver als die bisherige Medizin. (…) Dr. Künzli, St. Gallen, erklärte in der Diskussion, Poix habe die Anmerkung zum § 270 des „Organon“ nicht richtig zitiert. (…) Über die L-Potenzen herrsche eine richtige Konfusion. Wir besäßen heute keine genauen L-Potenzen nach Hahnemann.“ [Es sind die Q-Potenzen gemeint. – C.T.] (H. Storch, Magdeburg)
- Repertorisierkurs 1962 in St. Gallen
„Mit dem Kent bei Künzli in St. Gallen. Am 10. und 11. November 1962 trafen sich in St. Gallen ca. 50 Kollegen, um sich von Dr. Künzli in die Feinheiten der Kent-Repertorisation einführen zu lassen. Wohl 90% der Teilnehmer waren aus allen Teilen Westdeutschlands gekommen und entsprechend den weiten Anreisewegen wurde von allen konzentriert mitgearbeitet. Ganz pünktlich zur festgesetzten Zeit begann der Veranstalter, uns seine Fälle zu diktieren, und dann setzt ein allgemeines Blättern ein. Von denen, die den „Kent“ schon 10 Jahre wälzen, nicht minder eifrig wie von den Anfängern, die noch mühsam die Daumenregister absuchen mußten. Nachdem jeder von uns Zeit gegeben war, selbst das entscheidende Mittel zu finden, führte uns Dr. Künzli gemeinsam an mancher Fallgrube und Sackgasse der Methode vorbei durch den „Kent“ zu dem Mittel, das sich im vorgetragenen Fall bewährt hatte. Dabei wurde der folgerichtige Aufbau von „Kent’s Repertorium“ deutlich gemacht.
War es relativ leicht, in den Fällen 1 und 2 das geeignete Mittel zu finden, so gab der Fall 3 auch den ältesten Kentianern eine harte Nuß zu knacken, und unser Lehrmeister ließ uns „reichlich zappeln“, ehe er daranging, mit uns gemeinsam die Symptome zu hierarchisieren. Dabei ergab sich dann eindeutig ein Mittel, das nach dem Typ der Patientin „gar nicht zu passen“ schien, aber doch zum Erfolg geführt hat.
Dieser Fall veranschaulichte eindrucksvoll, was Clarke in der Einführung zu seinem soeben neuerschienenen „Dictionary of Materia Medica“ sagt: „The prescriber ist constantly requiring to know the exact symptoms produces or cured by a drug, and very often these are not to be found among the recognised keynotes.“ (…)
Abschließend muß noch das „fakultative Nachtessen“ hervorgehoben werden, bei dem uns Dr. Künzli in einer lebendigen Darstellung die Geschichte der Homöopathie in St. Gallen schilderte. Sie beginnt mit Sanitätsrat Dr. Gsell und Dr. David Althier, die schon zu Hahnemanns Lebzeiten als homöopathische Ärzte praktizierten. Jetzt sind es vier, darunter der Vortragende, dessen Vater sich 1912 in St. Gallen als homöopathischer Arzt niederließ.“ (Max Tiedemann, Celle, A)
- Repertorisierkurs 1963 in St. Gallen
„Am 9. und 10 November führte Herr Dr. Künzli von Fimelsberg in St. Gallen wieder wie im Vorjahre einen Repertorisationskurs nach dem neuen deutschen Kent durch. Der Kreis, der sich hierzu zusammengefunden hatte, bestand aus zum Teil schon recht fortgeschrittenen Repertorisierern und aus einigen Anfängern in dieser Kunst. Von den Erfahrenen hatten die meisten schon im Vorjahr an dem Kurs von Dr. Künzli von Fimelsberg teilgenommen. Man konnte bei ihnen deutliche Fortschritte gegenüber dem Vorjahr feststellen, wohl durch täglichen Umgang mit dem Repertorium.
Die Schwierigkeit, Anfänger und Fortgeschrittene in einem Kurs zu vereinen und jedem von ihnen etwas mitzugeben, wurde von Dr. Künzli von Fimelsberg in der Weise gelöst, daß, während die Fortgeschrittenen zwei Fälle bearbeiteten, die Anfänger in den Aufbau des Repertoriums und in die Hierarchisierung der Symptome eingeweiht wurden. Dann vereinigte man sich wieder, und die Anfänger mühten sich eifrig, bei dem Repertorisieren von Fällen so gut wie möglich mitzumachen. Die „Besser-Wissenden“ halfen ihnen, und so konnten auch sie manche Entdeckung im Repertorium machen und sich schnell von der Nützlichkeit und dem Wert des Repertorisierens in der Praxis überzeugen. Fälle von folgenden Mitteln wurden repertorisiert:
– Zincum (Pterygium, ein Fall von Carrol Dunham),
– Calcium carbonicum (Leukorrhoe),
– Ledum (Lungenaffektion, alternierend mit Rheuma, ein Fall von Stens sen.).
Dazwischen suchte man eine Reihe von Zincum-Symptomen, die aus dem Arzneimittelbild des Mittels in den „Chronischen Krankheiten“ herausgelesen waren, also Arzneimittel-Prüfungssymptome, im Repertorium auf. Die Teilnehmer bestätigten, daß Kent’s Repertorium die Symptome Hahnemanns doch im großen ganzen genau übernommen hatte. Nach jedem repertorisierten Fall wurde die Symptomatologie des betreffenden Mittels besprochen, ebenso Dosierungs- und Arzneimittellehrbuchsfragen.
Bei dem gemeinsamen Nachtessen orientierte man sich über den Stand der Homöopathie in der Welt. Daneben wurden Verbindungen geknüpft und reichlich anregender kollegialer Gedankenaustausch gepflegt, so daß man als Fazit feststellen kann, daß jeder Teilnehmer an Wissen und neuen Erkenntnissen bereichert nach Hause an seine tägliche Arbeit zurückkehren konnte.“ (F., Zeitschrift für Klassische Homöopathie)
- Repertorisierkurs 1964 in St. Gallen
„Zum dritten Male fand am 14. und 15 November 1964 in St. Gallen ein Repertorisationskurs unter der bewährten Leitung von Herrn Dr. Künzli von Fimelsberg statt. Der Veranstalter beschämte seine Zuhörer immer wieder durch geduldiges Eingehen auf ihre Schwierigkeiten bei der Arzneimittelfindung. Er war für jeden einzelnen der Teilnehmer da, gleichgültig, ob Anfänger oder Fortgeschrittener. Besonders herausgestellt wurde die Wichtigkeit spontan geäußerter Symptome. Erzählen lassen und aufmerksam Zuhören und Beobachten ist wertvoller als Fragen. Beim Fehlen sonderbarer oder geistiger Symptome wird das subtile Durchforschen der Rubriken der körperlichen Symptome durch überraschende Funde belohnt und ermöglicht in vielen Fällen überhaupt erst das Auffinden des Similimum. Wer käme schon auf Dulcamara, ohne im „Kent“ nachgeschlagen zu haben, wenn ihm als einzige Symptome „Versiegen der Milch bei der Stillenden“ und „Blütchen am linken Nasenloch“ zur Verfügung stehen? Die Hörer kehrten sicherer und bereichert in ihre eigenen Praxen zurück. Sie bemühen sich nun, „es genau nachzumachen“.“ (Ki., Zeitschrift für Klassische Homöopathie)
Tagung des Landesverbandes Bayern des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte 1965 in Bad Wiessee, Bayern
„Am 10.4.1965 fand sich in Bad Wiessee auf Einladung des Landesverbandes Bayern ein großer Kreis interessierter Kollegen zusammen, um den 210. Geburtstag Hahnemanns mit einer gründlichen Diskussion über seine letzte Arzneizubereitungsweise, die LM-Potenzen oder 50.000er Potenzen, würdig zu begehen. (…) Herr Dorcsi erhielt das Wort zu einem einleitenden Referat über die LM-Potenzen, in dem er seine 5 1/2jährige Erfahrung mit diesen Potenzen darlegte. Im Laufe seines Referats sowie in den anschließenden Gegenreferaten und Diskussionsbemerkungen, an denen sich besonders die Herren Eichelberger, Ensinger, von Keller, Künzli, Laudenberg, Stübler und andere beteiligten, wurde die Frage behandelt, wann, warum und wie die LM-Potenzen angewandt werden sollen, während am folgenden Tag unter reger Beteiligung der Herren Sewerin, Spaich und Zinsser der Fragenkomplex der Herstellung der LM-Potenzen behandelt wurde.
Außerdem tauchte die Frage auf: Hat Hahnemann selbst noch Erfahrungen mit LM-Potenzen machen können, oder war diese sein letzte Erfindung mehr die Marotte eines Greises mit beschränkter Selbstkritik, wie von Gegnern der höheren Potenzen behauptet wird? Um die letzte Frage vorweg zu nehmen: Herr Künzli konnte bereits 1955 in einem Vortrag in Stuttgart [3] nachweisen, daß Hahnemann noch Fälle via von Bönninghausen veröffentlicht hat, und aus seinen letzten Krankenjournalen geht hervor, daß er mit diesen Potenzen selbst gearbeitet hat. (…)
Damit kommen wir zur Kernfrage der Tagung, wann man die LM-Potenzen einsetzen soll bzw. welche Vorteile sie vor den Dezimal- und Korsakof-Potenzen haben. (…) Herr Künzli warnte sehr vor dem LM-Rummel, da man bei der klassischen Kur das Mittel relativ lange gäbe, und dann sei die Gefahr sehr groß, daß der Fall verdorben werde, wenn sensiblen oder hypersensiblen Patienten, die heute sehr häufig sind, ein oder nacheinander mehrere falsche Mittel gegeben würden, wodurch es zu sehr dauerhaften Imprägnierung von Arzneimittelsymptomen kommen könne. Das gleiche gelte übrigens auch für den Fall, daß man statt beim Simillimum bei einem Palliativmittel gelandet sei. Dann könne es sehr schön (fast sekundenphänomenartige) Anfangserfolge geben, aber danach gehe es nicht weiter, und das Bild werde durch die Arzneimittelsymptome getrübt und die Heilung möglicherweise verhindert. Wenn man seiner Sache nicht ganz sicher sei (speziell, wenn man ohne Repertorium arbeite), sollte man lieber keine LM-Potenzen einsetzen [4].
Als besondere Domäne der LM-Potenzen stellte er heraus:
– die Tumoren, bei denen mit Korsakof-Potenzen ein Enderfolg fraglich sei;
– die Schwerkranken, die kurz vor dem Tode stehen, bei denen nur eine schnelle Hilfe Aussicht habe, noch zurecht zu kommen;
– die ganz schweren chronischen Fälle, bei denen nur ein guter Anfangserfolg dem Kranken von seinem Schmerz- und Palliativmittel hinweghelfe, was Voraussetzung für die weitere Kur sei und
– die lebensbedrohlichen, akuten Fälle.
Zur Frage des Einnahmemodus erläuterte Herr Künzli seine streng nach Hahnemann durchgeführte Methode, wie er sie in der KH 1960, Seite 52 ff. [5], genau beschrieben hat. (…) Daneben hat sich die Methode eingebürgert, wie sie unter anderem Herr Dorsci und Herr von Keller vertreten, daß der Patient ein Fläschchen von 10 ml erhält, in dem ein Globulus der betreffenden LM-Potenz in 20%igem Alkohol aufgelöst ist. (…) Die Unterschiede der beiden Methoden liegen einmal darin, daß die vorbereitete Lösung auf dem Transport, durch die dabei auftretenden Erschütterungen, unkontrolliert im Sinne einer Weiterpotenzierung verändert werden kann, während dieses bei der Methode Hahnemann-Künzli entfällt, da die Auflösung erst zu Hause vom Patienten vorgenommen wird. (…) Ferner ist Herr Künzli der Meinung, daß bei der 10-ml-Flaschenmethode die Verdünnung ungenügend sei und daher leichter Erstverschlimmerungen auftreten können. (…)
Der zweite Teil der Tagung war der Herstellung der LM-Potenzen gewidmet. Zunächst erfolgte eine ausführliche Darstellung der Herstellungsweise durch die Hersteller und Herrn Künzli. Dieser Herstellungsmodus ist in sehr klarer Weise von Dr. Pierre Schmidt in der KH, Band V, Seite 209/210 [6], beschrieben. (…) Herr Künzli berichtet, daß jeder der homöopathischen Ärzte, die sich LM-Potenzen hergestellt haben, dies etwas anders gemacht habe, und daß es gut wäre, hier zu einer einheitlichen Methode zu kommen, um vergleichbare Arzneien zur Verfügung zu haben.“ (Max Tiedemann, Celle, B)
- Spiekerooger Woche 1973
„Endlich! Der Arbeitskreis homöopathischer Ärzte Ostwestfalen-Lippe unter der Leitung von Kollegen Dr. von Ungern-Sternberg hat sich ein echtes Verdienst erworben, indem er ein Seminar für Propädeutik der Klassischen Homöopathie vom 8.-16.9.1973 auf der Nordseeinsel Spiekeroog abgehalten hat.
Seit 1956 hatte ich mühsam die 1954 wieder erschienenen Kentschen „Lectures on Homoeopathic Philosophy“ für mich aus dem Englischen übersetzt und studiert. Nun hat Kollege Künzli von Fimelsberg dieses Buch mit Anmerkungen von Pierre Schmidt ins Deutsche übertragen. Auf diesem Seminar hat er sein Buch erläutert und aus der Taufe gehoben. Eine Woche lang wurde jeden Morgen intensiv daran gearbeitet und nachmittags wieder Arzneimittelbilder „gebimst“ und die markanten Symptome dieser Arzneimittelbilder im Kent-Repertorium aufgeschlagen und erläutert. A l s o: ein Kursus über Philosophie und Anwendung klassischer Homöopathie nach der Hahnemann-Kentschen Technik der Repertorisation, wie wir ihn schon seit 1954 hätten haben können und sollen – dann stünde es heute besser um das Wissen und die Leistungen in den Praxen. Mit Sicherheit wird es alsbald bei den Kollegen an den Erfolgen zu sehen sein, wie wichtig dieses Seminar war und wie bedauernswert es ist, daß dieser Geist sich erst jetzt Bahn bricht.
Wir brauchen keine Beweise der Homöopathie nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen“. Und auf dem Wiener Liga-Kongreß hat es der Internist klar ausgedrückt, daß Allopathie und Homöopathie nach verschiedenen Grundgesetzen zum Arbeiten antreten. Hier wurde das Grundgesetz der Homöopathie eindeutig und lehrbar dargestellt. Es ist ein Jammer um die verflossene Zeit, in der statt Einzelne schon eine ganze Generation hätte ausgebildet sein können, dann wäre das Lamento um unsere Zukunft heute bereits überflüssig. Nun endlich zeichnet sich ab, daß hier der neue Geist sich schwungvoll Bahn bricht und es steht sehr zu erwarten, daß diese Kurse, deren Wiederholung geplant ist, weitere Kreise ziehen werden. Es ist dies endlich eine Ausbildung, die so praktisch ist, wie sie erforderlich ist und in der jeder Fragen stellen konnte und jeder gefördert wurde, selbst „alte Hasen“ sahen sich nicht nur bestätigt, sondern hatten Gewinn. Den Mitdozenten, den Herren Gerd-Witte, Kass und Tiedemann, die die Darstellung einzelner Arzneimittelbilder übernommen hatten, sowie dem Veranstalter und dem Schweizer Gast sei Dank für dieses gelungene Unternehmen. Sie werden keinen Dank hören wollen, sondern gaben für die Homöopathie, was sie konnten, aber in einer so praxisnahen Darstellung, daß dieses Internatsseminar, aus dem es auf der Insel kein Entrinnen gab, ein Marktstein werden wird für das Blühen weiterer echter klassischer Homöopathie.“ (Hilmar Deichmann, Hannoversch Münden, A)
- Spiekerooger Woche 1974
14.-21.9.1974: „Herr Künzli von Fimelsberg bewies erneut, daß er zu den wenigen Auserwählten gehört, die in der Lage sind, den Weg zur Wahrheit zu weisen und zu führen. Nicht nur sein Charme, sondern seine starke Persönlichkeit drang bis in die äußersten Winkel der Seelen und ließ bei Diskussionen um bekannte Probleme, wie Hochpotenzen oder Symptomendominanz, Schuldgefühl ob der eigenen Unzulänglichkeit oder noch geheimster Zweifel entstehen. Viele fuhren jedenfalls schwindelfreier über die Nordseewellen nach Hause.“ (Hans-Jürgen Schramm, Mandelsloh bei Neustadt/ Rübenberge, Niedersachsen)
- Spiekerooger Woche 1975
13.-20.9.1975: „Fast schon eine „Trade Mark“ mindestens ein Qualitätsbegriff, ist diese jährliche Spiekeroogwoche geworden. Angeregt durch den guten, für viele Teilnehmer ungewohnten, friesischen Tee, der die Geister sehr belebte, arbeiteten 35 Teilnehmer wirklich eifrig. (…) Das Ziel der Veranstaltung war: Klischeevorstellungen abbauen. Ein Leitsymptom fordert nicht das Mittel, sondern die Homöopazität des Falles ergibt sich aus der Summe der für den Fall charakteristischen Symptome.
Unter der Leitung von Dr. von Ungern-Sternberg wurde Materia medica getrieben, nach Kent, Allen, Lathoud, Mezger und Boerike. Täglich sechs Stunden rauchten die Köpfe dort und über die Mittagszeit gab es auf Aufgaben, Organon-Paragraphen vorbereiten. Als Morgenandacht schon wurden Abschnitte aus den Kentschen Vorlesungen zur Philosophie der Homöopathie studiert. Herr Künzli lehrte zu diesem, von ihm aus dem Englischen übersetzten Werk und brachte wohldurchdachte Fälle, die als Abendaufgabe repertorisiert, am nächsten Tag eingehend besprochen wurden. Die Klarheit der klassischen Kunst der Homöopathie, ganz im Sinne Hahnemanns, und genau nach dem Organon begeisterte alte und junge Hasen gleichermaßen, so daß sich noch abendliche Tischrunden in Gaststätten zu kleinen Diskussionskreisen zusammenfanden. Lediglich unter Mittag wurden von einigen in der See gebadet und etwas Herbstsonne eingefangen. Ganz Eifrige badeten bereits frühmorgens im Hallenbad.
Einhellig war man sich einig, daß wir diese Art von Veranstaltung weiter so brauchen. Es ist die vorteilhafteste Art der Fortbildung von der alle gleichermaßen bereichert heimgekehrt sind. Alle hatten gehört und die meisten auch fördernd in den Diskussionen sich ausgesprochen, so daß wirklich diskutiert wurde in einer Art, die unter der kundigen Leitung immer wieder auf die Quellen unseres Wissens zurückgeführt wurde. (…) Den Veranstaltern galt der herzliche Dank der Teilnehmer, den Herr Künzli besonders dafür erhielt, daß er in völlig selbstloser und bescheidener Art, geradezu wie aus dem Hintergrund heraus, die Begeisterung und das Verständnis für das Genie Hahnemanns im Studium der Quellen zu wecken verstand. Starke Worte Hahnemanns, die wie beschwörende Predigten der Propheten des Alten Testaments klingen, wurden lebendig vor die Herzen der Zuhörer gestellt.“ (A.E.J., Zeitschrift für Klassische Homöopathie)
- Spiekerooger Woche 1976
18.-25.9.1976: „„Kein Weg ist weit mit einem Freund an der Seite, ein Freund aber ist jemand, mit dem man laut denken kann.“ Auf dieser Arbeitswoche, im Internatsbetrieb auf der abgeschlossenen Insel, gab es kein Entweichen von der Arbeit, strenge Morgens- und Nachmittagssitzungen und alle waren da. Jeder hatte auf seinem Platz sein Namensschild, so daß wir uns bald untereinander gut kannten, jene Eingeschworenen, die es besonders ernst mit Hahnemanns Vorschrift nehmen wollen: „Macht´s nach, aber macht´s genau nach.“
Arzneimittellehre, Repertorisationslehre, Kentsche Philosophie, Karteirepertorisationen nach Leers und Broussalion, Vorträge, Fälle, Abendaufgaben für den nächsten Tag. Die Veranstalter hatten an alles gedacht. Jede Minute war genützt, es gab keinen Leerlauf. Untereinander wechselten die Herren ab. Herr Künzli dirigierte, Solisten waren alle und jeder aus dem Auditorium, der konnte, erhielt kleine Soloparte zugewiesen, konnte sich aussprechen, seine Fragen aufwerfen und erhielt kollegialen Rat, Berichtigung oder Förderung. Jeder gab sein Bestes. Wenngleich auch krasse Anfänger dabei waren, sie wuchsen schnell hinein. So war der Kreis ein Meisterforum, das bei jedem den Blick schärfte, den Mut zum Weitermachen und die eiserne Durchhaltekraft im schweren Werk des Alltags stärkte. Ein begeisteter und begeisternder Haufen, der es mit seiner Aufgabe wahrlich genau nimmt. Selbst alte Hasen lernen immer noch zu. Das ist das Schöne in unserer Kunst. „Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen, der Werdende wird immer dankbar sein.“ So schieden wir alle dankbar.“ (Hilmar Deichmann, Hannoversch Münden, B)
Spiekerooger Seminare 1973-1986
„Gerade rechtzeitig zum Beginn der ersten Spiekerooger Woche war seine Übersetzung von Kents Vorlesungen „Zur Theorie der Homöopathie“ fertig geworden. Das Buch hatte er zusammen mit Pierre Schmidt zuvor ins Französische übertragen. Wohlgemerkt, er identifiziert sich nicht mit diesem Buch; er sagt, es ist 70 Jahre alt, aber er unterrichtet nach einigen ausgewählten Kapiteln: die Fallaufnahme, die wahlanzeigenden Symptome und deren Gewichtung, die Psoratheorie, Sykosis und Syphilis – und die zweite Verordnung. Da ist es interessant, ihn zu erleben. Er verteilt Aufgaben, er läßt die Kursteilnehmer es selber tun – und kennzeichnend für ihn, diesen feinfühligen, taktvollen Menschen, wie er die Korrekturen selber finden läßt. Unter seiner Ägide wird jeder Beitrag eines Kursteilnehmers wertvoll, auch wenn er falsch war, weil alle daran lernen, den Weg zur Korrektur zu verfolgen. Er fragt. Er fragt einfach, was andere dazu denken – und dann fragt er, was Hahnemann dazu geschrieben hat, dieser beste Garant unserer Methode. So interpretiert er Hahnemann, ohne zu dozieren – Hahnemann, nicht er wird dargestellt.
Dann seine Fälle, wer kennt sie nicht? (…) Beim ersten Kurs 1973 ließ er uns drei Tage an einem Fall zappeln. Wir brüteten vor uns hin, am Frust nagend und machten finstere Mienen über die eigene Unfähigkeit, aus dem ganzen Galimathias die wahlanzeigenden Symptome zu erkennen. Er verriet nichts und erlaubte kein Ratespiel – nur Beweise. Dann analysierten wir gemeinsam und lösten den Fall nachvollziehbar.
Hier lernten wir alle hinzu und fanden alle unsere eigene Methode. Wie viele heute aktiv tätige Lehrer der Homöopathie verdanken ihre eigene Form diesem Lernprozeß, wie viele Arbeitskreise verdanken ihm ihre Impulse.
Sich einzuordnen in das Ganze, den anderen gelten zu lassen, das konnten wir am immer liebenswürdigen Jost Künzli erleben. (…) Er wirkt wahrhaftig im Zeichen der Waage, sorgsam wägend, jedes Symptom prüfend, Distanz schaffend. Seine Sonne steht im Hause der Information, so ist er der geborene Lehrer zur Schaffung inneren Gleichgewichts, als Löwe-Aszendent vertritt er mutig seine Erkenntnisse. Die Bücher seines toten Vaters zog er buchstäblich aus der Mülltonne, unbeirrbar seinen Weg gehend schon als Junge. Als sein mustergültig hergerichtetes Gütli von der Behörde abgenommen wurde, sagte der Beamte: „Herr Doktor, Sie müssen einen Orden bekommen. Alle Grenzhöfe werden stillgelegt und Sie investieren!“ Er investiert in das, was ihm notwendig erscheint. Sein Pächter verwaltet das Gütli gut, auf seinen Weiden ist gesundes Vieh. Was er tut – er tut es einfach, ohne Hektik ruhig fortschreitend, „Ordnung im Kasten machend“, im Sinne des Paragraphen 1 Organon, alle Spekulationen mißachtend.“ (Manfred von Ungern-Sternberg, Detmold, Westfalen)
Homöopathie-Vorlesung an der Universität Zürich 1977-1991
„Die Vorlesungen über Homöopathie fanden jeden Donnerstag um 18-20.30 Uhr statt, so daß nicht nur Studenten, sondern auch Ärzte sie besuchen konnten. Als ich das Vorlesungszimmer betrat, sah ich einen großen, vornehmen, stillen Mann, der so um die sechzig sein konnte und beschäftigt war, Blätter auszuteilen. Er war wohl Dr. Künzli. Im Saal saßen bloß vier oder fünf Zuhörer. Was mich frappierte, war die Tatsache, daß als Anmeldung eine Begrüßung bei Dr. Künzli genügte und man sich einfach dazusetzen konnte. Dieses freiheitliche Klima, frei von jedem Zwang und Druck, bestand in den Vorlesungen von Dr. Künzli bis zu seinem Tode. Künzlis Vorlesung bestand aus einer Stunde Theorie und aus einer Stunde praktischer Arbeit an Fällen. Die Theorie wurde nach dem Buch „Theorie der Homöopathie“ von James Tylor Kent in der Übersetzung von Künzli gegeben. Es wurde jeweils ein kleiner Abschnitt vorgelesen und dann von Dr. Künzli frei aus der Fülle seines Wissens mit sehr vielen praktischen Hinweisen kommentiert. Richtige Goldkörner, wie ich später verstand.
Die Kasuistiken, die uns Dr. Künzli zum Lösen aufgab, bestanden meistens aus fünf bis sechs maschinengeschriebenen Seiten und waren nichts anderes als Erstanamnesen von Fällen aus seiner Praxis mit einem Behandlungsverlauf von mindestens zehn Jahren. Er brachte uns nämlich nur solche Fälle, die schon mindestens 10-15 Jahre lang mit einem einzigen Mittel gut liefen. (…) Wir sollten diese Anamnesen studieren und mit einem Repertorium die angezeigten Mittel finden. Als ich mein erstes Repertorium gekauft hatte – es war der deutsche „Keller-Künzli-Kent“ in drei Bänden – und es auf der Heimfahrt im Zug voller Erwartung und Freude öffnete, war ich sehr enttäuscht, als ich feststellte, daß dies nichts anderes war als ein Wörterbuch. Ich fragte mich, wie man denn kranken Menschen mit so etwas helfen könne. Aber unter der erfahrenen und gütigen Leitung von Dr. Künzli wurde das Repertorium im Laufe der Zeit zu einer Art Kompaß, ohne welchen es in den meisten chronischen Fällen unmöglich gewesen wäre, das richtige Mittel zu finden. Künzli war übrigens einer der ersten Ärzte, die das Repertorisieren im deutschen Sprachraum eingeführt haben. Mit den Teilnehmern seiner Kurse hat er es konsequent praktisch geübt.
Er ließ uns mehrere Stunden über einen Fall brüten, bis einige von uns die Lösung gefunden hatten, und dies geschah meistens mehr durch Raten als durch Kenntnis. Dann besprachen wir den Fall gemeinsam, indem wir ihn Absatz für Absatz gemeinsam lasen und Dr. Künzli jeweils seine Kommentare dazu gab. Wir lernten, daß die Symptome eine Wertigkeit haben, daß es wichtige Symptome gibt und weniger wichtige. (…) Die Analyse war sehr praktisch orientiert und frei von jeglicher Spekulation und von jeglichem Philosophieren. Es wurden einfach die Symptome nach ihrer Wertigkeit analysiert. Es wurde z.B. das Symptom analysiert: „Bohnen blähen“. Wir meinten, es sei normal, daß Bohnen blähen. Er kommentierte aber: „Schon, schon, aber nehmen Sie dieses Symptom ruhig. Verschlimmerungen durch Nahrungsmittel sind Allgemeinsymptome und kommen somit an dritter Stelle in der Hierarchisierungsskala.“ Oder wir mußten lernen, daß eine „Landkartenzunge“ ein auffallendes Symptom sei und zuoberst in der Hierarchie komme. Wir konnten alle diese Dinge nicht ganz nachvollziehen, aber wir wußten, daß hinter den Aussagen Dr. Künzlis eine über dreißigjährige Erfahrung stand.
Dazu kam dann die Bewährungsprobe: Man ging nach Hause und fing vorsichtig an, die ersten Anamnesen bei Freunden und Bekannten zu machen; es gab eine Wertung der Symptome so, wie man es gelernt hatte, man verabreichte die Mittel und staunte über die erlebten Erfolge. Wie groß war unsere Überraschung, als wir sahen, daß man das Gelernte sofort in die Praxis umsetzen konnte und es sogar prima funktionierte. Es war alles so einfach, was er uns sagte und doch so wirksam. Erst später begriff ich, daß nur ein großer Meister mit viel Erfahrung und einem großen Überblick eine schwierige Materie für Anfänger einfach machen kann. (…) Künzli schenkte uns das Destillat seines Wissens aus einer vierzigjährigen Praxis. Er tat dies mit einer solchen Demut, daß man im ersten Moment gar nicht verstand, welche Perlen, Diamanten und Kostbarkeiten man da in die Hand erhielt. Man konnte ihn als Schüler nur lieben. (…)
In fünfzehn Jahren großer Nähe zu Dr. Künzli hat er uns kein einziges Mal das Gefühl vermittelt, daß wir nichts wissen und daß er der Große sei. Er sagte uns immer, wenn wir einen kleinen Erfolg hatten: „Sie machen es aber wunderbar.“ Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, daß nur die Liebe fähig ist, Beständiges und Ewiges zu schaffen. Nur in diesem Geist kann die Homöopathie wachsen.“ (Dario Spinedi, Orselina, Tessin)
- Spiekerooger Woche 1979
7.-15.9.1979: „Die ostfriesische Insel Spiekeroog wurde ein Begriff für die Homöopathie des deutschen Sprachraumes. Der Verein der selbstdispensierenden Ärzte lädt seit sieben Jahren zu einem Seminar unter der Leitung des Kollegen Freiherrn von Ungern-Sternberg, Detmold, ein. Die Organisation liegt in den Händen des Kollegen Tiedemann, Celle. Der Kollege Künzli, St. Gallen, ist hier der Spiritus rector. Von Polen bis Holland, Österreich und der Schweiz sowie den beiden Teilen Deutschlands kamen jetzt fast 50 Kollegen, um sich zu unterrichten in Theorie, Methode und Materie der „Homöopathie nach Hahnemann“. (…) Künzli, der Mitübersetzer und Herausgeber des deutschen Kent-Repertoriums, brachte am ersten Vormittag einen Bericht zur Lage der Homöopathie im deutschen Sprachraum, welcher wegen seiner Bedeutung unten referiert wird. Sein großes, über die Jahre hinweg geführtes Thema ist die Theorie und die Methode der „Homöopathie nach Hahnemann“. Er sagte:
„Gute Kenntnisse der Materia medica und sicherer Gebrauch des großen Repertoriums sind notwendige Voraussetzung für die rechte Heilmittelwahl. Die präzise Kenntnis der „Homöopathie nach Hahnemann“ – Theorie und Methode – ist ebenso eine conditio sine qua non. Das gründliche Studium des Organon mit seinem Kent-Kommentar und die konsequente Methodeneinübung sind fortgesetzt vonnöten.“
In diesem Jahre wurden drei Abschnitte der Methode dargestellt:
- die Inaugenscheinnahme des Kranken durch den Arzt,
- die Anhörung des Kranken durch den Arzt,
- die notwendige Dokumentation durch den Arzt.
Wenn solche Methoden der ärztlichen Tätigkeit prinzipiell den großen Schulen gemeinsam sind, so bedürfen sie in der Anwendung der „Homöopathie nach Hahnemann“ einer besonderen Betonung, weil die rechte Heilmittelwahl gemäß dem Simileprinzip nur nach der richtigen Bestimmung des Krankheitsbildes möglich wird. Unzureichende Untersuchungsmethoden bewirken unmittelbar die falsche Therapie. Es seien einzelne wichtige Daten dieser Methode vermerkt. Die Fülle möglicher Inaugenscheinnahme drängt sich auf beim Durchblättern des Kent-Repertoriums. Nur für die Beobachtung des Gesichtes unserer Kranken finden sich hunderte Rubriken. Kent betont beispielhaft die Beobachtung des Augenausdruckes und des Blickes und schreibt dazu:
„Der Augenausdruck kann viele Symptome verraten, welche kein Angehöriger oder Pfleger zu beobachten weiß.“
Ähnlich intensiv muß die Anhörung erfolgen. Wiederum zeigt das Repertorium dem Anfänger die große Variationsbreite menschlicher Klagen und Kümmernisse. Man sollte einen Blick werfen auf die Protokolle der Arzneimittelprüfungen vergangener Zeiten, und man begegnet bei anscheinender Wiederholung und Eintönigkeit einer tiefen Differenzierung und mannigfaltigen Kombination, welche die faktische Individualität ausmachen.
Den Kolleginnen Pötters, Achen, und Kohl, Uchte, gelang es, solche Fragen der Individualisation des Krankheitsbildes lebendig vorzutragen. Sie fanden regen Beifall. Überhaupt ist die rege Anteilnahme aller Seminarteilnehmer bemerkenswert. Trotz gewisser sprachlicher Schwierigkeiten beteiligten sich auch die Kollegen aus den Niederlanden lebhaft an den Erörterungen und Diskussionen. Die Seminarwoche war geprägt von reger Atmosphäre und vitalem Geist.
Bei aller Breite und Vielfalt der Übungen kam die Zentralfrage der „Homöopathie nach Hahnemann“ natürlich häufig zur Sprache: die hierarchische Einordnung der verschiedenen Zeichen und Symptome. Künzli hat eine besondere Gabe, dieses Zentralstück der „Homöopathie nach Hahnemann“-Methode zu erläutern, zu präzisieren und zu analysieren. Solche Aufgabe des homöopathischen Arztes erfordert seine solide schulgemäße Ausbildung und klinische Erfahrung. Die Pathologie, Physiologie, Toxikologie und nicht zuletzt die Psychopathologie geben die sichere Basis, um Zufälle und Zeichen zu finden und kategorisch sicher zu wägen.
In seinen Ausführungen zur Lage der Homöopathie im deutschen Sprachraum erinnerte Künzli, daß die Bundesrepublik Deutschland jetzt zum ersten Mal das Homöopathische Arzneimittelbuch von Staats wegen herausgebe. Dieses sei ein kleiner, aber gewiß bedeutender Schritt zu einer allgemeinen Anerkennung unserer Schule. Zu erwähnen wären die zunehmenden Gelegenheiten, Homöopathie vor den Studenten der Universitäten zu vertreten. Er halte mit den Kollegen Buschauer, Legnau bei Bern, in der Universität Zürich seine Vorlesungen. Besonders erwähnte Künzli die große Welttagung der Homöopathie in Hamburg, wo mancher Redner das Erbe Hahnemanns und die Klassiker in hervorragender Weise vertrat. Aber gerade dies Tagung habe gezeigt, wie es einigen Kollegen in den Ursprungsländern der Homöopathie in einer geradezu versessenen Art betreiben, das große Erbe zu vertun. Diese Herren brüsteten sich damit, eine moderne Form der „veralteten“ Hahnemann-Lehre entwickelt zu haben. Solche vermeintlichen Förderer hätten noch niemals die Methode und die Möglichkeiten der Homöopathie verstanden oder sie oft kaum gelesen. In aller Welt gelte das Werk Hahnemanns, in Nord-, Mittel- und Südamerika. Auch im englischen Raum einschließlich seines ehemaligen Weltreiches huldige man dem Namen, der Lehre und der Methode. Auf dem Hamburger Kongreß jedoch brachten zahlreiche Redner Beiträge, die mit der „Homöopathie nach Hahnemann“ nichts mehr zu tun hatten. Künzli legte acht Gebote der echten Homöopathie gemäß dem Hahnemannschen Organon vor. Sie seien Regel und Norm zur Unterscheidung der Geister:
- Die klinische Diagnose ist niemals ausreichende Grundlage der Verordnung.
- Nur die Gesamtheit der Symptome eines Kranken ergibt das wahlanzeigende Krankheitsbild.
- Die Erstellung der Similebeziehung setzt ein exaktes und ausführliches Untersuchungsprotokoll voraus.
- Das methodisch sicher gewählte Heilmittel wird in seiner Wirkung durch jede andere Medikation beeinträchtigt. Wichtige, nicht absetzbare Substitutionsmittel, bleiben seltene Ausnahme.
- Jede schematisch programmierte Verordnungsfolge ist falsch.
- Jede Mischung von zwei und mehr Medikamenten ist widersinnig.
- Die Gabe eines Medikamentes und ihre Wiederholung ist genau bestimmt.
- Jede Willkür und Intuition ist der Lehre Hahnemanns fremd.
Zum Schluß verwies Künzli auf eine besondere Notlage der „Homöopathie nach Hahnemann“-Lehre. Im Buchhandel fehle die Ausgabe des Organons, wie sie von Richard Haehl 1921 herausgebracht wurde. Die gegenwärtig verbreiteten Nachrucke zeigten gravierende, methodische Unzulänglichkeiten. Die Verlage, Organisationen und Verbände ständen in der Pflicht, die Neuauflage diese grundlegenden Hahnemann-Werkes in wissenschaftlich korrekter Weise zu besorgen.“ (Wilhelm Weber, Insel Fehmarn)
Diktat der Nachträge im Kentschen Repertorium 1979-1981
„Außerdem stand damals gerade einer der Arbeitswochen bei Dr. Künzli in St. Gallen bevor, in denen er von Herbst 1979 bis 1981 an insgesamt 30 Tagen interessierten Homöopathen seine Nachtragungen in den „Kent“ diktierte. Diese bestanden überwiegend aus Symptomen der Arzneimittellehren Hahnemanns, den Rest bildeten Rubriken aus etwa 50 weiteren Autoren.“ (Will Klunker, Heiden, Schweiz, A)
Seminar-Wochenende 1980 auf Schloß Weidenkam, Bayern
„Am 10. Oktober 1980 konnte Dr. med Jost Künzli von Fimelsberg, St. Gallen, seinen 65. Geburtstag feiern. Daß er an diesem Tage nach Weidenkam reiste, um am Abend seinen ersten Kursvortrag über ein von der landläufigen Homöopathie übersehendes, für Hahnemann und Kent integrales Thema homöopathischer Methodik, über die „zweite Verschreibung“ zu halten, spricht deutlicher als viele Worte für seine innere Einstellung gegenüber der Homöopathie und der Verantwortung des Lehrers. Als Lehrer klassischer Homöopathie höchsten Ranges steht er heute im Zenit, unauffällig, fast lautlos und von weitreichender Präsenz zugleich.“ (Will Klunker, Heiden, Schweiz, B)
„Im Jahre 1981 [7] besuchten wir als eine Gruppe Österreicher die von Martin Stübler organisierten Wochenenden auf Schloß Weidenkam. Dorthin lud für jedes Wochenende Stübler einen „berühmten homöopathischen Gast“ ein. So trafen wir auf Künzli. Da wir alles „arme Österreicher“ waren und uns den Aufenthalt im teuren Schloß nicht leisten wollten, suchten wir uns ein Gasthaus in der Nähe, direkt am See. Hierher luden wir Künzli zum Mittagessen ein. Das Gespräch kam auf Hahnemann und seine Hochpotenzen. Warum er nicht wie Hahnemann die C 30 verwende, fragten wir ihn. Das sei nur „Zuckerwasser“, antwortete er. (…) Beim gleichen Mittagessen wollte sich ein Kollege über Künzlis Gabe von einem Globulus lustig machen und fragte, wie er es machen würde, wenn er einem Patienten einen halben Globulus geben wollte. Künzli ließ sich nicht in Verlegengheit bringen und antwortete: „Das ist ganz einfach: Ich gebe einen Globulus in ein Glas Wasser und lasse von dem die Hälfte trinken“, worauf er die Lacher auf seiner Seite hatte.“ (Leopold Drexler, Feldkirch, Vorarlberg)
- Spiekerooger Woche 1981
6.-13.9.1981: „In der Beschränkung liegt der Meister. Diesen Meister der Beschränkung durften wir in Jost Künzli von Fimelsberg als außergewöhnlichem Vermittler und „Orientierungsleuchtturm“ der klassischen Homöopathie begegnen. (…) Unbestechlich in seiner Haltung, klar, einfach und zutiefst überzeugend hält er die Gesetzmäßigkeiten der klassischen Homöopathie hoch – stets mit Milde und Bestimmtheit darauf hinweisend, daß es wichtig sei, diese Wissenschaft erst einmal von Grund auf zu beherrschen, um sich dann – so man möchte – „auf die Äste hinauszuwagen“. (…)
Vielen – die Teilnehmerzahl stieg dieses Jahr auf 110, die aus Österreich, Polen, Holland, Belgien, der BRD, der DDR und der Schweiz angereist waren – werden Dr. Künzlis immer wieder ermahnende Worte und Ratschläge in den Ohren bleiben und Wegweiser sein: absolut objektive Aufnahme der Symptome und ihrer Hierarchisierung, Herausarbeitung des Similes, genaueste Beobachtung der eventuelle eintretenden Symptome während der folgenden Wochen nach Verabreichung der ersten Gabe und kein vorzeitiges Dreinfahren mit einer neuen Verschreibung während dieser Zeit, um die Wirkung des Mittels nicht zu verwischen. Es trat in Erscheinung, wie viele der Anwesenden zu lange bei der Erfassung und Bewertung der Gemütssymptome verweilen und so in Versuchung geraten, persönliche Auslegungen hinein zu interpretieren. Dies tut der Objektivität Abbruch, die der Garant ist, den Patienten so zu erfassen, wie er ist und nicht, wie wir ihn sehen möchten. Und nur durch unvoreingenommene Wahrnehmung finden wir zum rechten Simile.“ (Marion Egger, Zürich)
Übersetzung des Organon, 6. Auflage, ins Englische, erschienen 1982 [8]
„Ich denke, es ist an der Zeit, für klare Verhältnisse zu sorgen. Nachdem mir Alain Naudé einige Paragraphen des Organon, welche ich in der Übersetzung von Boericke [9] nicht verstand, nach Pierre Schmidts französischer Übersetzung ins Englische übersetzt hatte, wurde mir klar, daß eine Neuübertragung des Organon ins Englische anstand. Ich organisierte ein Stipendium, damit die Arbeit getan werden konnte. Pierre Schmidt hatte Alain Naudé eröffnet, es sei seine „Pflicht“, eine ordentliche englische Übersetzung des Organon zu bewerkstelligen.
Naudé und Peter Pendleton schufteten buchstäblich zwei Jahre lang, um eine neue Übersetzung zu schaffen. Peter, der fließend deutsch spricht, übersetzte sowohl nach der deutschen Ausgabe, als auch nach einer von mir erstellten Kopie von Hahnemanns Originalmanuskript, welches in San Franzisco in der Bibliothek der Medizinischen Fakultät der Universität von Kalifornien aufbewahrt ist. Zur selben Zeit übersetzte Alain den französischen Text, den Pierre Schmidt [und Jost Künzli – C.T.; 1] nach der deutschen Fassung verfertigt hatten. Bisweilen konnte es vorkommen, daß Peter und Alain für einen einzigen Satz einen vollen Tag benötigten.
Im Verlauf ihrer Arbeit riefen sie Künzli verschiedene Male an und befragten ihn um Rat. Künzli las ihre Übersetzung Korrektur und verglich sie mit der deutschen Fassung. Insgesamt dreimal reiste Alain in die Schweiz, verbrachte eine intensive Zeit mit Künzli und ging das Manuskript mit ihm durch. Unsere ursprüngliche Absicht war, die Namen der Übersetzer nicht zu nennen, aber schließlich erlagen wir dem Druck des Verlegers und brachten die Namen in alphabetischer Reihenfolge. Es gelang mir zu erreichen, daß mein Name ungenannt blieb. Künzli redigierte für Genauigkeit und Trefflichkeit, während Naudé und Pendleton zu gleichen Anteilen die Rohübersetzung ins Werk gesetzt haben. Es war ein Werk der Liebe.“ (Robert M. Schore, Seattle, Washington)
„Dr. Künzli war der Initiant und der Rückhalt der Übersetzungsarbeit der 6. Auflage des Organons von Hahnemann ins Englische. Er war es, der uns vorschlug, nach dem deutschen Text zu übersetzen, da es sich als wenig realistisch herausstellte, die Übersetzung nach der französischen Version von Dr. Pierre Schmidt zu machen. Er war immer da, um eine schwierige Stelle zu erläutern oder uns Verbesserungen im Text vorzuschlagen. Ohne seine Mitarbeit wäre das Resultat viel weniger befriedigend gewesen. Und darüber hinaus, bedeutete die Arbeit am Organon mit Dr. Künzli, an der großen Tradition der klassischen Homöopathie teilzunehmen, die er nach Kent und Hahnemann repräsentierte.“ (Peter Pendleton, Vereinigte Staaten)
Diese Übersetzung trägt folgende Widmung [10]:
„We dedicate this translation of the Organon to its author, Samuel Hahnemann, with love and respect, and hope that he would have found it worthy.“
Seminar in Schwarzenberg, Vorarlberg 1983
Letztes Augustwochenende 1983 [11]: „Als Kontaktperson der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin organisierte ich über fünf Jahre eine Seminarreihe „Gespräche über die Schulen hinaus“. Künzli war der erste Gast, der im Sommer 1983 nach Schwarzenberg in den Bregenzer Wald kam. Dort kam es nach langen Jahren auch zum Wiedersehen zwischen Künzli und Dorsci in lockerer und wohlwollender Atmosphäre. Hier standen die Gespräche über den Stellenwert des Repertoriums im Vordergrund. Anhand einer Einführung ins Repertorisieren kam ein eindrucksvoller Dialog über die ganzen zwei Tage zustande.
Für mich war schon die Vorbereitung zu diesem Seminar beeindruckend. Als ich ihn telefonisch zu diesem Seminar einlud, sagte er sofort zu, meinte aber, ich solle persönlich für die Einzelheiten zu ihm kommen. Er lud mich in seine Ordination ein und sagte, ich solle nur einfach zuschauen. Es kam eine rundliche etwa 55-jährige Patientin zu ihm. Ihr war vor mehreren Jahren wegen eines Mamma-Ca´s eine Brust entfernt worden. Immer hielt er den Kontakt mit ihr, indem er alles von ihr Gesagte mit einem „Ja, ja“, „Ach so“, „Aha“ usw. unterstützte, während er ab und zu in seinem alten, dicken, abgegriffenen englischen Kent etwas nachschaute. „Da geben wir Pulsatilla M“, sagte er zu mir. „Aber Herr Künzli, das haben Sie doch schon einmal vor einem Jahr gegeben. Damals hatte es doch nicht den gewünschten Erfolg gezeigt! Wieso geben Sie es denn jetzt?“ „Ja, ja“, sagte er, „aber jetzt paßt es.“ „Und warum geben Sie es so hoch bei einem Carcinom?“ fragte ich weiter. „Pulsatilla ist eine Pflanze, die können wir ruhig hoch geben“, antwortete er.“ (Leopold Drexler, Feldkirch)
„Wie in Österreich, so bewegen sich auch in der Schweiz die derzeit rund 60 Homöopathen auf „inoffiziellem“ Parkett, berichtet Dr. Jost Künzli. Es werden in Zürich, Genf, Lausanne und Bern zwar Vorlesungen gehalten, einen Lehrstuhl hat die Homöoopathie aber keinen, was Dr. Künzli gar nicht so sehr stört: „Ich bleibe lieber bei meiner reinen Lehre, als Kompromisse zu schließen.“ (…) Auch das Klima zwischen der Schulmedizin und der Homöopathie sei in der Schweiz „nicht schlecht“. „Hier wird keiner aktiv bekämpft, wenn er sich an die Standesregeln hält.“ “ (M. Mathis, Vorarlberger Nachrichten)
- Spiekerooger Woche 1986:
„Vom 6.-12.9.1986 fand (…) – nach dem jetzigen Stand der Dinge wohl zum letzten Male – die Fortbildungswoche für klassische Homöopathie auf Spiekeroog statt. Etwa 150 Teilnehmer aus elf europäischen und außereuropäischen Ländern waren diesmal angereist, um an dieser längst zur Institution gewordenen Veranstaltung teilzunehmen. (…) Hier war es der verehrte Meister Dr. Künzli, der aus dem großen Schatz seiner über 40-jährigen Erfahrung wichtige Hinweise zur Theorie der Homöopathie gab und dabei stets mit einem aufmerksamen Publikum rechnen konnte. Seine Falldarstellungen waren wie stets interessant und voller Überraschungen. Immer wieder gelang es ihm, in seiner bescheidenen Art durch konsequentes Anwenden der homöopathischen Gesetzmäßigkeiten während der Lösung der Fälle coram publico bei so manchem ein Licht aufgehen zu lassen, das er nicht so schnell wieder vergißt. Dies tat er nun schon zum 14. Male hintereinander, womit er einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung und Reinerhaltung der klassischen Homöopathie geleiset hat. Gleichzeitig hat sich durch seine Mitwirkung der Spiekerooger Woche zu einer der größten deutschen (europäischen?) Fortbildungsveranstaltungen entwickelt.
Im theoretischen Teil ging es diesmal um die homöopathische Verschlimmerung, die Prognose aus der Reaktion auf die erste Gabe, sowie die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen bei der Verordnung der zweiten Gabe. Anhand der Kentschen Vorlesungen über Hahnemanns Organon, die von Künzli übersetzt und mit Erläuterungen versehen wurden, machte er deutlich, wie wichtig die Beobachtung des Kranken nicht nur vor der Gabe eines Arzneimittels ist, sondern insbesondere auch nach Verabreichung desselben. Wer die hierbei zur Anwendung kommenden Gesetzmäßigkeiten nicht beachtet und beherrscht, wird niemals jene wunderbaren Heilwirkungen beobachten können, durch die sich die großen klassischen Meister auszeichnen. Dies in den Köpfen seiner Zuhörer zu verankern, war das Anliegen Dr. Künzlis. (…)
Bei der Abschlußfeier wurden etliche künstlerische Darbietungen von den Teilnehmern dieser Woche vorgetragen. Thematisch stand bei diesen Beiträgen der Dank für Dr. Künzlis langjährige Lehrtätigkeit sowie die Wehmut über sein letztmaliges Mitwirken in Spiekeroog im Vordergrund. Er bedankte sich dafür spontan auf seine Art mit einem in Schwitzerdütsch vorgetragenen Lied über Beobachtungen, die man bei gewissen Schweizer Volksstämmen (u.a. den Appenzellern) machen kann. Nicht unerwähnt sollen die Worte bleiben, die er zum Abschluß den Teilnehmern mit auf den Weg gegeben hat:
„Es liegt an Ihnen allen, ob die Homöopathie zu der Größe gelangt, die ihr wirklich gebührt, oder ob sie durch „homöopathische“ Pfuscher wieder in Vergessenheit gerät und untergeht. Momentan brennt das Interesse an ihr wie eine leuchtende Fackel. Sorgen Sie durch Ihre gute Arbeit dafür, daß immer mehr Fackeln entzündet werden, dann sind wir auf dem richtigen Weg.“ (Rolf Janert, Großaspach, Württemberg)
Repertorisierkurs 1988 in Schruns, Montafon
Dritte Januarwoche 1988 [11]: „Im Jänner 1988 organisierte ich im Namen der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin in Schruns, dem Heimatort seiner Frau, einen zweiten Repertorisierkurs mit Dr. Jost Künzli. Wir arbeiteten in der Früh und abends, am späten Vormittag und nachmittags suchten wir den spärlichen Schnee zum Skifahren. Einen Abend wurden wir alle von Dr. Felbermeyer in Gaschurn eingeladen. Wir alle hatten den Eindruck, daß sich Künzli bei uns sehr wohlfühlte. Vielleicht war es auch die andere Art, mit ihm und seinen „Fällen“ umzugehen. Wir diskutierten sehr lange über den Wert der Symptome und der einzelnen Erscheinungen, besonders in Hinsicht auf die Individualität. Künzli war immer wieder überrascht, wie viele seine akuten Kasuistiken ohne Buch, nach einmaligem Durchlesen lösten. „Ja, ja, Ihr könnt halt Arzneimittelbilder“, sagte er öfters. Auf die Bitte, er solle uns spontan ein Arzneimittel darstellen, reagierte er etwas verlegen und meinte, er könne uns die Leit- und auffallenden Symptome einer Arznei schildern. So gab es die ganze Woche wohlwollende Gespräche über Symptome und Arzneien.“ (Leopold Drexler, Feldkirch, Vorarlberg)
Anmerkungen
[1] S. Hahnemann: Doctrine Homoeopathique. Traduction commentée par le Docteur Pierre Schmidt. Paris, 1952
[2] Künzli von Fimmelsberg, Jost: Chronische Krankheiten auf psorischer Basis. KH 3 (1959), 207-232
[3] Zwei Heilungen Hahnemanns mit Quinquagintamillesimalpotenzen. Nach einem Vortrag anläßlich des Hahnemann-Jubiläumskongresses im September 1955 in Stuttgart. Deutsche homöopathische Monatsschrift (DHM) 7 (1956), 451-461
[4] Künzli hat übrigens nie von LM-, sondern immer – wie es weniger mißverständlich ist – von 50.000er oder Quinquagintamillesimal-Potenzen gesprochen. Insofern sind möglicherweise auch andere Aussagen dieses Artikels nicht als exakt zu werten.
[5] Künzli von Fimmelsberg, Jost: Die Quinquagintamillesimalpotenzen. KH 4 (1960), 47-56
[6] Pierre Schmidt: Über die drei Arten homöopathischer Dynamisation. KH 5 (1961), 206-212, hier Seite 209 f.
[7] Entweder war Dr. Künzli zwei Jahre hintereinander, 1980 und 1981, Referent auf Schloß Weidenkam oder, was ich für wahrscheinlicher halte, die Jahresangabe von Leopold Drexler muß in „1980“ korrigiert werden.
[8] Samuel Hahnemann: Organon of Medicine. The First Integral English Translation of the Definitive Sixth Edition of the Original Work on Homoeopathic Medicine. Translated by Jost Künzli, M.D., Alain Naudé, and Peter Pendleton. 1982. Cooper Publishing, 250 H St., Blaine, Washington 98 231. ISBN 0-9636312-0-9.
[9] William Boericke hat in seiner Übersetzung lediglich die gegenüber der 5. Auflage neu hinzugekommenen Paragraphen übersetzt und in die bisherige englische Übersetzung der 5. Auflage eingefügt: Organon of Medicine by Samuel Hahnemann. Sixth Edition. After Hahnemann´s Own Written Revision for the Sixth Edition. Translated with Preface by William Boericke. Philadelphia, 1922
[10] Samuel Hahnemann: Organon of Medicine. The First Integral English Translation of the Definitive Sixth Edition of the Original Work on Homoeopathic Medicine. Blaine,Washington, 1982. p. 8
[11] Datierung nach Leopold Drexler: Mathias Dorsci – ein Leben für die Homöopathie. Documenta Homöopathica 9 / 1988, Haug-Verlag, Heidelberg, S. 55 f.
Quellen
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Barthel, M.: „Mein lieber Lehrer Künzli“. DJH 4 (1985), 308-310
Deichmann, A = Deichmann: Endlich. KH 18 (1974), 43-45
Deichmann, B = D.: Bericht über die Spiekerooger Woche 1976. KH 21 (1977), 77-78
Drexler, Leopold: Einige Erinnerungen an Künzli. Unveröffentlichtes Manuskript, Künzli- Archiv.
Egger, Marion: Aus einem Bericht von der 9. Spiekerooger Woche 1981. DJH 1 (1982), 45-46
Janert, R.: Bericht von der 17. Spiekerooger Woche. DJH 5 (1986), 300-301
Jonas, Wayne B.: The Last Spiekeroog. Homeopathy Today 7 (1987, 4), 4
F.: Repertorisationskurs bei Dr. Künzli von Fimelsberg in St. Gallen. KH 8 (1964), 38
Ki.: Repertorisationskurs bei Dr. Künzli von Fimelsberg in St. Gallen. KH 9 (1965), 41
Klunker, A = Klunker, Will: Zur Neubearbeitung von „Kent´s Repertory“ in deutscher Übersetzung. Probleme und Entwicklungen. KH 28 (1984), 28-33
Klunker, B = Klunker: Jost Künzli von Fimelsberg – 65 Jahre. KH 25 (1981), 45
Mathis, M.: Gesundheitssystem ist vermurkst – der Patient muß aktiv mittun und die Familie braucht mehr Stellenwert. Vorarlberger Nachrichten. Bericht aus Schwarzenberg. Der Zeitungsausschnitt im Künzli-Archiv trägt kein Datum, stammt laut Dr. Drexler von Ende August / Anfang September 1983.
Pendleton, Peter: Remerciements au docteur Künzli. Groupement Hahnemannien su Docteur Pierre Schmidt, 30 (1993), 399
Pfotenhauer, G.: Bericht über das Seminar für „Klassische Homöopathie“ (Dr. Voegeli) vom 25.-28. September 1958 in Darmstadt. DHM 10 (1959), 43-45
Schmidt, Pierre: Le Congres des Montreux. Groupement Hahnemannien de Lyon. Compte Rendu des Reunions animées par le Docteur Pierre Schmidt de Genève 6 (1969), 67- 79 (No. 1/2)
Schore, Robert M.: The 6th Edition from Künzli. From Julian Winston: The Faces of Homoeopathy – an Illustrated History of the first 200 Years. Great Auk Publishing, Tawa, New Zealand, 1999, ISBN 0-473-05607-0. p. 364.
Schramm: Spiekerooger Spätlese. KH 19 (1975), 85-86
Spinedi, Dario: Die moderne Behandlung der chronischen Krankheiten. Nach einem Vortrag am 11.9.1998 in Frankfurt am Main. KH 43 (1999), 131-142 und 175-184.
Storch, H.: Bericht über den 24. Kongreß der Liga Homoeopathica Internationalis Medicorum in Montreaux vom 26.-29.7.1960. DHM 11 (1960), 607-632
Tiedemann A = Tiedemann, Max: Mit dem Kent bei Künzli in St. Gallen. KH 7 (1963), 43
Tiedemann B = Tiedemann, Max: Herstellung und Anwendung der LM-Potenzen. Ein Tagungsbericht. KH 9 (1965), 262-268
Weber, Wilhelm: Das Seminar für Klassische Homöopathie auf Spiekeroog 7.-15. September 1979. KH 24 (1980), 85-88
Ungern-Sternberg, Manfred von: Im Zeichen der Waage. Jost Künzli von Fimmelsberg zum 70. Geburtstag. DHJ 4 (1985), 313-314
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