Eine akute Krisis in einer chronischen Krankheit
Dr. Karin Bandelin
Abstract
Zusammenfassung
Das Akutmittel wird gefunden auf der Basis der charakteristischen Symptome (§153), eines Künzli – Punktes im Repertorium, und der typischen Lokalisation im Harntrakt. Ocimum canum schafft sofortige Beseitigung der Akutbeschwerden sowie Langzeitbesserung der chronischen Krankheit.
Keywords
Stichwörter
In der homöopathischen Therapie sind wir nicht nur in der Lage, akute Krankheiten zu behandeln, die nach Definition Hahnemanns entweder durch eine „crisis von selbst aus dem Organism wieder aus(zu)löschen …, wenn er nicht von denselben getödtet wird“ [1], sondern können Heilung bei Krankheitszuständen anbieten, die in der Schulmedizin nur palliativ angehbar sind. Aus diesem Grunde haben viele homöopathische Kollegen ihr Schwergewicht auf die Behandlung chronischer Krankheiten gelegt.
Bei dieser Art Behandlung werden auftretende Akutkrankheiten oft als Störenfriede betrachtet – siehe Hahnemann – und nach Möglichkeit ignoriert, um die Wirkung des „chronischen Mittels“ nicht durch eine interkurrent gegebene Arznei zu stören. Ein protrahierter Heilungsverlauf kann jedoch die miasmatische Situation verkomplizieren [1] und damit ebenfalls zu einer Verlängerung der chronischen Behandlung führen. Manchmal können wir durch die viel drastischeren und spezifischeren Symptome einer Akutkrankheit erst den Schlüssel für das Simile bzw. Simillimum des Patienten finden – sei es, dass die chronischen Symptome zu unspezifisch waren oder sei es, dass der Patient einer Arznei bedarf, die durch eine umfangreiche Repertorisation vieler Symptome eher verdeckt als aufgespürt werden kann. Die Fallaufnahme im akuten Zustand kann vieles, was bislang am Patienten undeutlich geblieben war, herauskristallisieren und aufklären.
Ich möchte von einem männlichen Patienten, geb. 1960, berichten, der im Februar 1990 zur Behandlung kam wegen:
- rezidivierender rheumatoider Beschwerden der Lendenwirbelsäule,
- Schwellungen der Fußgelenke nach Anstrengung (Fußball spielen),
- Schwellungen der Knie nach Überlastung, die Diagnose lautete „chronische Kreuzbandüberdehnung“ sowie Nephrolithiasis mit etwa 15-20 Koliken im Alter von 24 Jahren.
Wegen seiner individuellen Symptomatik, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, erhielt der Patient am 5.3.90 Sulphur C 200 (Schmidt-Nagel).
Bis Dezember 1991 war es dem Patienten gut gegangen. Zu diesem Zeitpunkt stellte er sich wieder vor wegen eines röntgenologisch verifizierten Harnleitersteins kurz hinter der Niere mit blutigem Urin und starker Schmerzen trotz Novalgin i.v. und Buscopan i.v. durch den Urologen.
Akutsymptomatik:
Die Kolikschmerzen waren links, zogen am Rücken entlang und erstreckten sich bis in Blase und Hoden, welcher sich gespannt anfühlte.
Der Patient fühlte sich ängstlich, wie vor einem drohenden Unheil.
Der Schmerz war wie ein elektrischer Strom, stechend, schneidend, krampfartig, besser durch Bewegung.
Er musste sich ständig übergeben, was jeweils eine kurze Besserung brachte.
Besserung der Schmerzen durch Wärme.
Besserung, wenn er sich krümmt.
Wenig Urin, aber häufig, nachts viermal.
Der Urin roch stechend, unangenehm und war blutig, bräunlich, dick und trüb.
Er wollte seine Ruhe, aber auch jemanden um sich haben.
Das Charakteristikum dieses Falles (§153):
- das Erbrechen während der Schmerzen im Ureter, „kidney, pain, ureters, vomiting, with“ hier findet sich das betreffende Mittel als einziges im Repertorium [2]
- Nieren, Schmerz, Uretha, schneidender Schmerz, begleitet von, Erbrechen dazu im 3. Grad und mit „Künzli-Punkt“;
sowie weitere charakteristische Symptome:
- die Schmerzen im linken Hoden [3, 4], „male genitalia, pain, testes (nicht bei pain testes left)“ und der dicke und trübe Urin [3, 4], „urine thick“ wiesen eindeutig auf Ocimum canum hin, das allgemein als wichtiges Mittel bei
- Nephrolithiasis, „urine, sediment, renal calculi“ (Nierensteine, Kidney Stones) bekannt ist und in allen wichtigen Repertorien für diese Indikation aufgeführt wird.
Der Patient erhielt einmalig das Medikament in der Potenz C 30, woraufhin die Schmerzen innerhalb weniger Stunden bis auf ein Unwohlsein nachließen.
Eine Röntgenkontrolle Ende Dezember ergab, dass der Stein bis an die Blase gewandert war; er verursachte zu diesem Zeitpunkt noch Harndrang bald nach dem Trinken. Dieser Stein ging zu Pfingsten 1992, ohne weiter Schmerzen zu verursachen, ab.
Eine dreijährige Verlaufsbeobachtung bis 1995 ergab Beschwerdefreiheit sowohl hinsichtlich der rheumatischen als auch hinsichtlich der Steinbeschwerden.
Literatur:
- Hahnemann, Samuel: Die Chronischen Krankheiten, Bd. 1, Seite 45
- Schroyens, F., Synthesis 9.1
- Boericke, William: Pocket Manual of Homeopathic Materia Medica, New Delhi, 1990, Seite 479; deutsch: Handbuch der homöopathischen Materia medica, Heidelberg, 1992, Seite 564
- Clarke, John Henry: Dictionary of Practical Materia Medica, New Delhi, 1991, Seite 634; deutsch: Peter Vint: Der Neue Clarke, Bielefeld, 1994, Band 7, Seite 3850
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