Falldarstellungen seiner Schüler

Asthma bronchiale und Neurodermitis

Dr. Angelika Czimmek

Zusammenfassung

In diesem Fall geht es um ein vierjähriges Mädchen mit schwerem Asthma und Neurodermits seit der Geburt. Hier wird sichtbar, dass bei so frühkindlichen schweren Erkrankungen häufig Nosoden in Frage kommen und wie wichtig die Familienanamnese ist, um die miasmatische Ebene zu erfassen. Einen wichtigen Hinweis zum Lösen des Falles bekam ich durch eine Fallbeschreibung von Künzli.

Abstract

In this case it is about a four year old girl with difficult asthma and eczema since the time after her birth. Here we can see that difficult diseases in the early childhood often require nosodes and that showes how important it is to ask for the family history of illnesses to understand the miasmatic level. I got an important lead to cure this girl from a case of Künzli.

Sarah kommt im Juni 1990 das erste Mal zu mir. Sie ist zu dem Zeitpunkt vier Jahre alt und leidet unter einer ausgeprägten Neurodermitis und einem Asthma bronchiale. Sie hat viele Allergien, u.a. gegen Katzenhaare, Hundehaare, verschiedene Pollen, Schweinefleisch und andere Lebensmittel. Die Neurodermitis begann mit drei Monaten und wurde mit corticoidhaltigen Salben behandelt, später dann auch mit Goldnerzcreme. Je mehr die Hauterkrankung verschwand, um so ausgeprägter entwickelte sich das Asthma. Sarah inhalierte regelmäßig mit Berodual.

Der Juckreiz auf der Haut tritt besonders nachts auf. Dann kratzt sie sich blutig. Tagsüber kratzt sie nur, wenn sie müde ist. An der See ist alles besser – sowohl das Asthma als auch die Neurodermitis. Die Besserung hält aber nur kurz an. Wenn das Kind zurück zu Hause ist, beginnt nach wenigen Tagen alles wieder von vorne.

Aus der weiteren Vorgeschichte erzählt die Mutter von einer großen Infektanfälligkeit und immer wiederkehrenden Bronchitiden. Sarah hat häufig Antibiotika bekommen und darauf mit heftigem Nesselfieber reagiert. Als Säugling hatte sie einen ausgeprägten Ikterus neonatorum* und einen sehr starken Milchschorf.

Sarah hat extrem heiße Füße, geht am liebsten barfuß und steckt die Füße nachts unter der Bettdecke heraus. Auch die Hände sind ständig heiß.
Vom Erscheinungsbild her ist das Mädchen abgemagert und relativ klein. Sie wirkt schmuddelig und etwas verwildert.

So wirken die Eltern allerdings auch. Eine Zigarettenwolke kommt mir entgegen, als sie ins Sprechzimmer kommen. Dazu kommt ein undefinierbarer Gestank. Trotzdem wirken sie weich und etwas hilflos.

Von Sarah erfahre ich weiter, daß sie lange in Knie-Ellenbogen-Lage geschlafen hat. Ihr Schlaf ist insgesamt sehr unruhig. Abends ist sie „topfit“ und ist nicht in ihr Bett zu bekommen. Aber auch die Eltern haben ein ausgeprägtes Abendleben.

Über das Eßverhalten erfahre ich folgendes: Sarah liebt Süßes, Salziges und Saures. Sie ißt am liebsten saures Obst und trinkt gerne kalte Milch. Ausgeprägte Abneigungen hat sie nicht.

An weiteren Besonderheiten fällt auf, daß sie sehr, sehr lebhaft ist. Sie ist immer aktiv, kann sehr zornig werden, wirft dann mit Gegenständen – als Kleinkind warf sie sich auf den Boden – und schreit laut.

Sie weint sehr schnell und viel, und ihr Mitleid mit anderen ist ausgeprägt. Selber mag sie Trost nicht so gerne. Sie braucht Gesellschaft und kann nicht gut alleine sein. Ängste hat sie sonst keine. Sie lutscht viel am Daumen, kaut an den Nägeln, dreht an ihren Haaren und zieht diese aus.

Die Schwangerschaft verlief problemlos, auch bei der Geburt gab es keine Besonderheiten.

Die Familienanamnese ist auffällig. Beide Eltern leiden an Bronchitiden – allerdings sind beide auch Raucher. Die Urgroßmutter mütterlicherseits hatte eine Tuberkulose und die Großeltern mütterlicherseits hatten beide eine Gonorrhoe. Der Großvater hatte zusätzlich noch Psoriasis*, Asthma und Rheuma.

Folgende Symptome verwendete ich zur Repertorisation und hierarchisiere:

  1. auffallende, sonderliche Zeichen und Symptome nach § 153 Organon:
    1. Knie-Ellenbogen-Lage im Schlaf, „sleep, position, knees and elbows, on“;
    2. Hitze, Füße, streckt sie aus dem Bett heraus, „extremities, heat, foot, uncovers them“, die Rubrik trägt einen Punkt;
  1. Allgemeinsymptome:
    1. Allgemeinsymptome:
    2. Seeluft bessert, „generalities, air, seashore, amel.“;
    3. Nägelkauen, „mouth, biting nails“;
    4. Kleinwuchs, „generalities, dwarfishness“;
    5. Abmagerung bei Kindern, „generalities, emaciation, children“ (SR);
    6. Verlangen nach Saurem, nach Süßem, nach Salzigem, „stomach, desires“: „sour, acids, etc.“, „sweets“, „salt things“;
  1. Lokalsymptom:
    1. Hitze, Handteller, „extremities, heat, hand, palm“.

Entscheidend für die Mittelwahl ist der sehr frühe Beginn der Erkrankung bei Sarah mit drei Monaten. Das läßt schon von vornherein an eine Nosode bzw. an das Vorliegen einer angeborenen Sykosis denken. Wenn man sich dann die Familienanamnese anschaut, kommen an erster Stelle Medorrhinum und Tuberculinum bovinum in Frage. Nach der Repertorisation entscheide ich mich für Medorrhinum.

Kurz bevor ich dieses Kind in meine Behandlung bekam, las ich eine ähnliche Fallbeschreibung von Dr. Künzli [1]. Er hatte die Behandlung dieses Falles sofort mit Medorrhinum XM begonnen und, durch dieses Vorbild ermutigt, verabreichte ich ebenfalls sofort Medorrhinum XM, zwei Globuli.

Die Heilung verlief lehrbuchmäßig genau nach der Heringschen Regel* – von innen nach außen, von oben nach unten und von der Gegenwart in die Vergangenheit: Zuerst verschwand das Asthma, und die Hautausschläge wurden heftiger. Dann begann die Haut am Kopf besser zu werden, und die Besserung weitete sich langsam über die Arme, den Rumpf und die Beine aus. Dazu kam, daß das Mädchen insgesamt viel ausgeglichener wurde. Die Grundstimmung wurde besser, sie reagierte „nicht mehr so hysterisch“, und ihr Körpergeruch wurde besser. Nach mehreren Gaben von Medorrhinum wurde schließlich auch der Schlaf besser.

Sarah bekam Medorrhinum in großen Abständen, und diese Abstände wurden noch zunehmend größer. Insgesamt erhielt sie zwischen 1990 und 1994 zehn Gaben Medorrhinum in unterschiedlichsten Potenzen von der C 200 bis zur XM; die letzte Gabe war im Mai 1994 eine Dosis Medorrhinum XM. Die Wiederholung des Mittels wurde immer dann nötig, wenn sich die Haut wieder verschlechterte und wenn sich, was sehr selten der Fall war, das Asthma nochmals in leichter Form bemerkbar machte. Das Mittel wirkte immer sehr schnell, Sarah konnte sich körperlich gut belasten und war ohne irgendwelche Beschwerden.

Seit Mai 1994 ist sie nun ganz beschwerdefrei und dazu ein nettes Mädchen geworden. Sie hat ein normales Gewicht, und die Größe ist altersentsprechend.

Nachbemerkung

Künzli berichtet in der oben erwähnten Fallbeschreibung [1] auch über die Heilung von Mutter und Tochter mit Medorrhinum und weist auf die Bibel hin, auf 2. Buch Moses, 20. Kapitel, Vers 5: „… der die Schuld der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied.“ Ich denke, dieser Satz paßt auch gut zur Krankheitsgeschichte von Sarah.

Literatur

  1. J. Künzli: Ichtyosis congenita – Patientin Margit P. Dt. J. Hom. 9 (1990), 23-25

Ins Glossar

Ikterus neonatorum
Gelbsucht beim Neugeborenen.
Psoriasis
Schuppenflechte
Heringschen Regel
Das Heringsche Gesetz bzw. Regel besagt, es sei Zeichen der Heilung, wenn die Symptome des Patienten in folgender Abfolge vergehen:

  1. von oben nach unten (1. Gesetz),
  2. von innen nach außen (2. Gesetz) und
  3. in der umgekehrten Reihenfolge, in welcher sie ursprünglich beim Patienten aufgetreten sind (3.Gesetz).
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