Rheumatisches Fieber
Dr. Angelika Czimmek
Wichtig bei der kurzfristigen Repetition des Mittels waren die Hinweise von Hahnemann und Künzli, dass Bryonia alba oft ein zweites Mal gegeben werden muss, damit es das entsprechende Resultat liefert.
Rheumatic fever
Important for the quick repetition of the remedy were two leads from Hahnemann and Künzli, that Bryonia alba often has to be given a second time for a good result.
Hendrik ist drei Jahre alt, als ich ihn am 12. März 1991 sehe. Zuvor hatte ich ihn erst einmal gesehen und ihn wegen einer großen Menge von juckenden Warzen im Analbereich mit Thuja behandelt, die daraufhin auch prompt verschwanden.
Am 12.3.91 erzählt mir die Mutter folgendes: Hendrik hatte die gesamte letzte Woche Fieber zwischen 38 und 39 Grad und fühlte sich nicht gut. Heute nun hat er plötzlich starke Schmerzen im linken Arm und rechten Fuß, dann wieder im rechten Arm und linken Bein und an wechselnden anderen Lokalisationen. Sie war schon beim Kinderarzt gewesen, der die Verdachtsdiagnose rheumatisches Fieber gestellt und inzwischen Blut abgenommen hatte.
„Wie sind die Beschwerden genau?“, will ich wissen. „Hendrik vermeidet jede Bewegung. Er will sich nicht mal selbst im Bett umdrehen. Anscheinend schmerzt ihn jede Bewegung. Wenn ich ihn umdrehe, muß ich ihn ganz fest anfassen, dann geht es gut. Außerdem will er ganz warm eingepackt sein. Er will nicht angefaßt werden. Freunde, die ihn besuchen wollen, will er nicht sehen. Er ist dann sehr unleidlich. Sobald er etwas schwitzt, beginnt er zu jammern.“
„Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?“ „Hendrik klagt auch über Augenschmerzen. Immer, wenn er die Augen öffnet und schauen will, klagt er, würden sie weh tun. Die Gardinen im Schlafzimmer muß ich schließen, weil er das Sonnenlicht nicht vertragen kann.“
„Wie ist es mit seinem Appetit?“ „Hunger hat der Junge nicht, aber er hat einen fast unstillbaren Durst. Ständig will er etwas Kaltes zu trinken haben und trinkt dann ein ganzes Glas, manchmal direkt auch zwei Gläser hintereinander.“ „Gibt es noch etwas Auffallendes?“ Der Mutter fällt nichts weiteres auf. Ich beginne die Behandlung sofort.
Die Laborergebnisse am nächsten Tag zeigen: Die Blutsenkung beträgt 55 / 87 und der Antistreptolysintiter 470 – also beides deutlich erhöht, was die Verdachtsdiagnose „rheumatisches Fieber“ untermauert. Der Behandlungsvorschlag des Kinderarztes lautet: hochdosiert Antibiotika und Aspirin.
Ich ordne die Symptome und repertorisiere:
- auffallende, sonderliche Zeichen und Symptome nach § 153 Organon:
- Durst auf große Mengen häufig, „stomach, thirst, large quantities, often, for“: eine Rubrik mit Punkt, Bryonia findet sich dreiwertig;
- Gliederschmerzen, fester Druck bessert, „extremities, pain, pressure amel.“: Bryonia einwertig;
- Gliederschmerzen bei Grippe, „extremities, pain, influenza, during“: Rubrik mit Punkt, Bryonia dreiwertig;
- gut beobachtete Geistes- und Gemütssymptome:
- Jammern bei Schweiß, „mind, moaning, perspiration, during“: Bryonia zweiwertig;
- will nicht angefaßt werden, „mind, touched, aversion to being“: Bryonia zweiwertig;
- will keinen Fremden sehen, „mind, company, aversion, presence of strangers, to“: Bryonia zweiwertig;
- Allgemeinsymptome:
- Verlangen nach kalten Getränken, „stomach, desires, cold drinks“: Bryonia dreiwertig;
- Lokalsymptome:
- Photophobie bei Sonnenlicht, „eye, photophobia, sunlight“: Bryonia zweiwertig;
- Augenschmerzen bei Bewegung der Augen, „eye, pain, motion of eyes, on“: Bryonia dreiwertig;
- Gliederschmerzen, Bewegung verschlechtert, „extremities, pain, motion, on“: Bryonia dreiwertig;
- Gliederschmerzen, Wärme bessert, „extremities, pain, warmth amel.“: Bryonia zweiwertig.
Nach der Repertorisation dieser Symptome, die zeigt, daß zwei „Punktrubriken“ vertreten sind (Rubriken von großer Wichtigkeit wurden von Dr. Künzli in seinem überarbeiten Repertorium mit einem schwarzen Punkt versehen und erleichtern immer wieder die Mittelwahl), ergibt sich eindeutig Bryonia als das entsprechende Heilmittel.
Hendrik bekommt Bryonia C 200 (Schmidt-Nagel) am 12.3.91.
Verlauf
Am 13.3.91 ein Anruf der Mutter: Die Beschwerden sind fast weg. Hendrik ist munter, freundlicher und spielt wieder außerhalb seines Bettes.
Am 14.3.91 ist Hendrik noch frischer, spielt, hat nur noch leichte Beschwerden im linken Fuß. Heute sind die Blutergebnisse gekommen, und der Kinderarzt drängt auf die Antibiotikaeinnahme. Da es Hendrik gut geht, warten wir ab.
15.3.91: Heute geht es wieder viel schlechter. Er hat starke Beschwerden im linken Bein, kann es nicht bewegen, kann nicht laufen. Seine Stimmung ist wieder so schlecht wie zu Beginn. Das Fieber schwankt zwischen 37,2 und 37,9. Der Durst ist nicht mehr so extrem. Man sieht am Knie nichts, keine Schwellung, keine Überwärmung, nur der ausgeprägte Bewegungsschmerz besteht. Er ist sehr anhänglich an seine Mutter, jammert und weint viel.
Obwohl die Symptome nicht mehr ganz diesselben sind, wie am 13.3.91 – z.B. ist der Durst ganz anders -, beschließe ich, das Mittel zu wiederholen. Der Zeitabstand ist natürlich sehr kurz. Aber Bryonia ist ein Mittel mit Wechselwirkungen [1,2], und die Schwere des Krankheitsbildes rechtfertigt eine Wiederholung. So bekommt Hendrik Bryonia XM (Schmidt-Nagel). Ich habe damals die hohe Potenz gewählt, würde aber heute vielleicht erst Bryonia C 200 oder C 1000 geben.
Am 16.3.91 kommt der nächste Bericht der Mutter: Alle Beschwerden sind weg. Hendrik spielt und ist munter, und man merkt ihm überhaupt nichts mehr an. Der Zustand bleibt stabil, auch die EKG- und Urinkontrollen sind unauffällig. Die Blutkontrollen zeigen nach einer Woche ein normales Blutbild, und der Antistreptolysintiter sinkt unter 250, d.h. wieder auf einen normalen Wert.
Das Kind steht noch immer (1995) in meiner Behandlung und hat seit dieser Zeit keine schwerwiegenderen Krankheiten mehr gehabt. Im Dezember 1991 hatte er noch einmal Husten mit Fieber und im April 1992 einen grippalen Infekt. Ansonsten ist Hendrik seitdem gesund und entwickelt sich normal.
Anmerkungen:
- Hahnemann schreibt:
„Daher treten beim Gebrauch der Zaunrebe in Krankheiten Fälle ein, wo das Mittel, obgleich nach Möglichkeit gehörig gewählt und in gehörig kleiner Gabe gereicht, dennoch in den ersten 24 Stunden nicht die gehörigen Dienste leistet, … wo dann nach 24 Stunden eine erneuerte Gabe … die Besserung erst zustande bringt. Dieser Fall tritt nur noch bei sehr wenigen anderen Arzneien mit Wechselwirkungen ein …, bei Zaunrebe tritt dieser Fall jedoch nicht selten ein.“
[Samuel Hahnemann: Reine Arzneimittellehre, Band 2, Seite 417 f.] - Ebenso Dr. Künzli:
„Nach § 251 des Organon, 6. Auflage, ist Bryonia eines jener Mittel, welche repetiert werden müssen, wenn die erste Dosis nicht rasch das erwünschte Resultat liefert.“
[J. Künzli v. Fimmelsberg: Pleuro-Pneumonie rechts. DJH 4 (1985),46]
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