Bronchopneumonie rechts
Dr. Horst Hauptmann
Zusammenfassung
Summary
Spontanbericht
Das fünfjährige Mädchen kommt von weiter her erstmals in meine Praxis.
Sie quält sich seit zwei Monaten mit einer Bronchopneumonie rechts herum. Die seinerzeitige Thorax-Röntgenaufnahme zeigt eine keilförmige Verschattung im rechten Unterfeld. Die Behandlung erfolgte zunächst durch den Hausarzt mit Bisolvon-Saft, Monapax-Hustensaft, Solucampher und Esberitox.
Dadurch seien immerhin die Leukos von 31.000 auf 9.700 zurück gegangen; der Husten und Auswurf von grünlichem Schleim sei jedoch nie ganz weg gegangen und drei Tage vor Weihnachten sogar schlimmer geworden.
Dazu öfters Nasenbluten und zunehmende Sehschwäche. Anfangs hatte die Mutter einmal abends 40 Grad Fieber gemessen, aber richtiges anhaltendes Fieber habe nie bestanden. Das Mädchen müsste weinen beim Husten. Es erfolgte dann ein Arztwechsel zu einem homöopathischen Arzt, der trotz seiner Bemühungen keine Besserung erzielen konnte. Der Husten blieb immer gleich, die Schwäche nahm ständig zu, das Kind konnte trotzdem nicht schlafen.
Keinerlei Besserung.
Schließlich erfolgte die Überweisung zu mir.
Befund
Blasses, weinerliches, wehleidig traurig dreinschauendes Mädchen mit Tränen in den Augen, schlank, dürftig; helle trockene Haut, tiefe Schrunde in der Mitte der Unterlippe, Zunge und Rachen ohne krankhaften Befund; mäßige Lymphknotenreaktion am Kieferwinkel beidseits, braune Augen, lange Wimpern, schlanker Hals.
Sie ist sehr empfindlich bei der Untersuchung und weinerlich. Deutliche Atemnot, die zum Aufsitzen zwingt und im Liegen zu nimmt. „ Kann nicht flach liegen mit Kopf und Oberkörper.“ Über beiden Flanken besteht ein abgeschwächtes Atemgeräusch sowie verkürzter heller Klopfschall.
Kurze Befragung nach Art eines gelenkten Berichtes
Der Durst sei nicht übermäßig, anfangs sogar noch geringer gewesen.
Der Riss in der Unterlippe habe von Anfang an bestanden, ebenso die Weinerlichkeit und Empfindlichkeit sowie der Appetitmangel.
In gesunden Tagen bevorzuge sie Wurstsemmeln, insbesondere mit Salami, Süßes hingegen weniger.
Sie habe Angst vor der Dunkelheit und verlange Licht beim Einschlafen, ebenso vor Gewitter, was die Kleine selbst bestätigt. Musik habe sie gerne, sie tanze auch gerne, die Musik greife sie nicht übermäßig an.
Sie habe öfters harten Stuhlgang, trockene Stühle.
Milch gerne, wird vertragen, auch Fisch ganz gerne, gerne auch Nudeln, Brot, Kartoffeln.
Die Gelenke seien stabil. Einmal sei Durchfall durch den Husten los gegangen. Schokolade möge sie schon mal ganz gerne.
Sie sei eher pessimistisch, neige zu Kummer, weine viel und sei dann schwer zu trösten.
Hierarchisation und Repertorisation
- auffallende, sonderliche, eigenheitliche Zeichen nach § 153 „Organon“:
- Gesicht – Rissig – Lippen – Unterlippe – Mitte der
Face – Cracks – Lips – lower – middle of:
Rubrik mit Künzlipunkt, außerdem Nat-m. im 3., und mit Künzlipunkt.
Phos. und Sep. im 2. Grad
- gut beobachtete Geistes- und Gemütssymptome:
- Gemüt – Kummer, Trauer – still
Mind – Grief – silent :
Nat-m. und Ign. im dritten Grad, Phos. im ersten Grad - Gemüt – Trost – agg.
Mind – Consolation agg:
Rubrik mit Künzlipunkt, Nat-m. und Sep. im 4., Phos. und Ign.
im 3. Grad - Gemüt – Verweilt – vergangenen und unangenehmen Ereignissen, bei
Mind – Dwells – on past disagreeable occurences:
Künzlipunkt bei Nat-m. im vierten Grad, Lyc. mit Künzlipunkt im 3.Grad,
Sep. im 2.Grad
Verordnung
Ich entscheide mich für Natrium muriaticum C 30, 1 Glob. auf Wasser und bat um erneute Vorstellung in zwei Tagen.
Beim Hinausgehen bleibt der Vater zurück, um mir noch etwas Besonderes zu sagen, was die Tochter nicht unbedingt zu hören braucht: Seit etwa einem Jahr mache sie den Eltern große Sorgen, genau seitdem sich die Oma mütterlicherseits das Leben genommen habe. Darüber komme sie nicht hinweg. Sie zweifle an ihrer Gesundheit. Zu Silvester habe sie weinend geäußert: „Ich will gar nicht mehr leben!“
Vorstellung zwei Tage später
Sie sei wieder lebhafter geworden, habe wieder mit ihren Brüdern gespielt, sei nicht mehr empfindlich auf Berührung und Geräusche, sei wieder aktiver, lustiger, weniger bedrückt. Der Appetit kommt. Die Atemnot ist geringer, aber ebenso wie der Husten noch nicht ganz weg.
Das Gesicht wirkt offener, freundlicher, sie lacht mich vorsichtig an. Die Schrunde besteht noch. Normales Atemgeräusch, die Atmung ist weniger oberflächlich. – Verordnung: Eine Gabe Sach. album, 5 Glob.
Weiterer Verlauf
Eine Woche später war ihr Befinden wieder gut, die Kleine war mobil, freundlich; sie hatte wieder Appetit.
Die Lungen waren auskultatorisch und perkutorisch o.B. Später hat die Kleine Natrium muriaticum noch mehrmals in Einzelgaben mit stets sofortiger und anhaltender Wirkung bekommen.
Kommentar
Ein bereits schwieriger Fall, der jedoch in der laufenden Sprechstunde gelöst werden muss und sich homöopathisch lösen lässt. Wenn in dem Fallbericht im Grunde auch nur das Ergebnis der Befragung dar gestellt wurde, kann man sich vorstellen, dass die gesamte Konsultation eine halbe Stunde nicht überschreitet.
Nach dem Spontanbericht und der eingehenden Untersuchung, die auch die Wahrnehmung auffälliger Zeichen einschließt, erfolgt eine kurze gelenkte Befragung, um eine Entscheidung für eines der angezeigten homöopathischen Mittel treffen zu können.
Führend für die Arzneimittelwahl waren einerseits ein Zeichen und zwar der tiefe Riss in der Mitte der Unterlippe, ein Schlüsselsymptom vor allem für Natrium muriaticum und Sepia, aber auch für Phosphor sowie noch weitere Mittel, andererseits die psychische Situation: Neigung zu Kummer und Aversion gegen Trost.
Die Äußerung des Vaters wurde für die Arzneimittelwahl nicht berücksichtigt, bestätigt jedoch die richtige Entscheidung: „Zurückkommen und Beharren auf vergangene unangenehme Dinge“
Schlussbemerkung
Diese Fallschilderung habe ich meinem Buch „Homöopathie in der kinderärztlichen Praxis“ entnommen.
Dankenswerterweise wurde die Veröffentlichung für die Webseite „www.kuenzlipunkt.de“ vom Haug-Verlag genehmigt.
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