„Farmerlunge“ (exogen-allergische Alveolitis)
Dr. Gerd Hofmann
Zusammenfassung
Summary
Thomas war fünf Jahre alt, als er am 5.3.1992 in meine Behandlung kam. Er war wegen einer exogen-allergischen Alveolitis, einer sog. „Farmerlunge“, vom 19.11.91 bis 3.1.92 in einer Universitäts-Kinderklinik behandelt worden; anschließend befand er sich für weitere sechs Wochen auf Kur in einer Rehabilitationsklinik. Es hatte sich um eine schwere Erkrankung gehandelt, mit Zeichen einer chronischen Hypoxie in Form beginnender Trommelschlegelfinger und Uhrglasnägel. Die Antikörper gegen Thermoactinomyces vulgaris, Micropolyspora faeni und Aspergillus fumigatus waren positiv, die Vitalkapazität der Lunge war auf 33,5% der Norm reduziert. Die Behandlung war mit hochdosierter Prednisongabe (2 mg/kg Körpergewicht und Tag) über längere Zeit durchgeführt worden. Bei der Entlassung aus der Kurklinik hatte Thomas noch 5 mg Prednison jeden zweiten Tag bekommen, die Vitalkapazität war noch auf 60% der Norm erniedrigt, und es bestand weiterhin leichter Husten bei sonst unauffälligem Befund. Bei Neuauftreten der Symptomatik war eine Bronchoskopie sowie eine transbronchiale Lungenbiopsie empfohlen worden.
Die Eltern von Thomas hatten ihren Bauernhof inzwischen umgestellt, Stroh- und Heustaub reduziert, sowie die Taubenzucht aufgegeben. Die Vorstellung bei mir im März 1992 erfolgte aus zwei Gründen: erstens war Thomas von Seiten seiner bronchopulmonalen Symptomatik noch immer nicht beschwerdefrei, so daß die Eltern natürlich Angst vor einem Rezidiv hatten. Das zweite Problem, das auch schon vor dem Klinikaufenthalt bestanden hatte, war das Verhalten von Thomas. Er war überaus ängstlich und schüchtern, er versteckte sich vor allen unbekannten und bekannten Besuchern, er verließ das Haus nie ohne Begleitung, spielte sogar im elterlichen Hof nur, wenn ein Geschwister ihn begleitete.
Die homöopathische Anamnese und Untersuchung ergab im Wesentlichen folgendes:
In der Familie hatte die Großmutter mütterlicherseits allergisches Asthma, zwei Tanten väterlicherseits litten an allergischen Hautausschlägen. Tuberkulose oder andere relevante Erkrankungen waren nicht zu eruieren. Die frühkindliche Entwicklung war bis auf eine Säuglingsskoliose, die krankengymnastisch behandelt wurde, unauffällig gewesen.
Thomas war nach der Geburt gegen Tuberkulose geimpft worden, 1987 und 1988 gegen Diphterie, Tetanus und Polio, 1989 gegen Masern, Mumps und Röteln, sowie im Sommer 1990 und Sommer 1991 insgesamt dreimal gegen FSME. Alle lmpfungen seien gut vertragen worden.
Im Winter 1990/91 Achsel- und Ellenbeugenekzeme, die mit Cortisonsalben „erfolgreich“ behandelt worden waren.
Im Frühjahr 1991 hatte die bronchiale Symptomatik mit chronischem Husten begonnen, die sich dann bis zum Herbst immer mehr steigerte zu ständiger Obstruktion, Belastungshusten, schweren Anfällen von Atemnot und Zeichen chronischer Hypoxie, worauf die stationäre Aufnahme notwendig wurde.
Aufgrund der zeitlichen Zusammenhänge könnte man als Causa „unterdrückte Hautausschläge“ und „Folgen von Impfungen“ diskutieren – gerade nach FSME-Impfungen kommt es nach meinen Erfahrungen häufig zu allergischen Erkrankungen. Ich habe dies für meine Mittelwahl nicht in Betracht gezogen, da mir dieser Zusammenhang nicht eindeutig erschien.
Nun der aktuelle homöopathische Status bei der Erstanamnese:
Geist und Gemüt:
Auffällig ist die schon geschilderte Ängstlichkeit vor Menschen, sehr schüchtern, möchte immer jemand von den Eltern oder Geschwistern bei sich haben.
Magen / Darm:
Es findet sich nur eine einzige wirklich auffällige, spontan geäußerte Nahrungsmodalität: Er ißt Brot, Brezen und Kuchen nur trocken und ohne Aufstrich, am liebsten altbacken. Insgesamt immer schon sehr mäßiger Appetit. Übelkeit auch bei kurzen Autofahrten. Stuhlgang hart, Schmerzen im Rektum beim Stuhlgang, Jucken des Anus nach Stuhlgang.
Brust:
Ein trockener, vorwiegend morgendlicher Husten ohne genau faßbare Modalitäten. Belastungshusten.
Rücken:
Noch leichte S-förmige Skoliose der Brustwirbelsäule.
Wärme / Kälte / Schweiß:
Sehr gerne im Freien, verlangt nach frischer Luft, nicht verfroren, verträgt Sonne und Hitze gut, Schweiß bei starker Anstrengung am Kopf.
Die Hierachisation und die Repertorisation der Symptome ergaben:
- auffallendes, sonderliches Symptom nach § 153 Organon:
- Verlangen nach trockenem Brot, „generalities, food, desires, bread, dry“;
- gut beobachtete Geistes- und Gemütssymptome:
- schüchtern, „mind, timidity“;
- Furcht vor Menschen, „mind, fear, people, of“;
- Allgemeinsymptome:
- Übelkeit beim Autofahren, „stomach, nausea, riding in a carriage or the cars,
while“; - Stuhl, hart, „stool, hard“;
- Verlangen nach frischer Luft, „generalities, air, open, desire for“;
- Lokalsymptome:
- Rücken, Verkrümmung der Wirbelsäule, „back, curvature of spine, dorsal“;
- Husten, morgens, „cough, morning“;
- Husten, trocken, „cough, dry“;
- Husten bei körperlicher Anstrengung, „cough, exertion“;
- Rektum, Jucken nach Stuhlgang, „rectum, itching, stool, after“;
- Rektum, Schmerzen während Stuhlgang, „rectum, pain, stool, during“.
Hätte man die Symptome rein mechanisch, z.B. mit einem Computer, zusammengezählt – nie wäre man auf ein in den Rubriken so spärlich vertretenes Mittel wie Barium muriaticum gekommen! Dieses Mittel erschloß sich mir jedoch aus zwei Gründen:
- Das Verlangen nach trockenem Brot schien ein wirklich auffälliges, wahlanzeigendes Symptom zu sein.
- Die psychische Verfassung des kleinen Patienten passte sehr gut zur Grundidee der Barium-Salze.
Verlauf
9.3.92:
Gabe von einem Kügelchen Barium muriaticum C 30 (jeweils DHU).
Reaktion: Fast schlagartige Besserung der Furcht. Thomas ging allein auf ein Dorffest, was die ganze Familie total frappierte. Der Husten verstärkte sich leicht für eine Woche, verlor sich dann ganz innerhalb der nächsten drei Wochen bis auf einen noch bestehenden Belastungshusten. Thomas klagte auch nicht mehr über Juckreiz nach Stuhlgang.
24.4.92:
Wiederholung von Barium muriaticum C 30, da der Husten wieder beginnt.
Reaktion: Der Husten klingt ohne Verschlechterung innerhalb von 14 Tagen ab, Schmerzen während Stuhl treten nicht mehr auf, Stuhlgang beschwerdefrei. Keine nennenswerten Furchtsymptome.
3.6.92:
Gabe von Barium muriaticum C 200, da wieder Ängste auftreten, allerdings ohne Hustensymptomatik.
Reaktion: Psychisch geht es rasch wieder besser, kein Husten. Es entwickelt sich jedoch ein krustiges, z.T. nässendes Ekzem am Rücken und am Gesäß (Rückkehr alter und unterdrückter Symptome?!), das spontan innerhalb von vier Wochen abklingt.
19.9.92:
Wiederholung von Barium muriaticum C 200 wegen erneuter Ängstlichkeit und nächtlichem Einnässen.
Reaktion: Er reagiert psychisch wieder sehr gut, Husten, Hautbeschwerden und rektale Symptomatik sind verschwunden. Der ganze Winter vergeht ohne Infekte oder andere Erkrankungen.
5.1.93:
Bei einer Kontrolle in der Uniklinik sind die antigen-spezifischen Antikörper nicht mehr nachweisbar! In der Lungenfunktion findet sich nur noch eine minimale Restriktion ohne Obstruktion. Ein sehr befriedigender Verlauf.
28.4.93:
Thomas hat innerhalb der letzten Wochen einen zunehmenden Husten mit bronchialer Obstruktion und deutlichem Belastungshusten entwickelt. Mich interessiert, ob er auch auf das sehr verwandte Barium carbonicum gut reagieren würde und verabreiche Barium carbonicum C 200.
Reaktion: Es tritt weder eine Erstverschlimmerung auf, noch bessert sich der Husten. Solch eine fehlende Reaktion hatte es auf Barium muriaticum nicht gegeben.
11.5.93:
Da Thomas richtig krank ist, gebe ich nun doch vorzeitig wieder Barium muriaticum C 200.
28.5.93:
Husten, Belastungshusten und Obstruktion sind verschwunden, es geht Thomas körperlich und seelisch gut.
Seitdem habe ich Thomas nicht mehr gesehen. Von Zeit zu Zeit kommen Berichte von lungenfachärztlichen Kontrollen, die alle ohne Befund sind. Bei meinem Anruf bei der Mutter im April 1995 erfahre ich, dass es Thomas „bestens“ gehe, dass er den letzten Winter infektfrei überstanden und sich körperlich und seelisch sehr gut entwickelt habe, insbesondere werde auch der Kontakt mit Heu und Stroh gut vertragen.
Ein schöner Heilungsverlauf mit einem sehr seltenen Mittel, das in diesem Fall wohl das Simillimum war. Das kleine Symptom „Verlangen nach trockenem Brot“, ohne welches Barium muriaticum wohl sehr schwer zu finden gewesen wäre, war ein echtes Goldkorn und hat Thomas sicher vor einigen Problemen in seinem Leben bewahrt.
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