Falldarstellungen seiner Schüler

Rezidivierende Otitis media rechts mit Hörschwäche infolge Paukenerguß

Dr. Horst Hauptmann

Zusammenfassung

In der Fallschilderung über ein 6 ½-jähriges Mädchen, das an rezidivierendem Schnupfen und Ohrentzündungen rechts leidet, die zu Hörschwäche infolge Paukenerguß geführt haben, werden der klinisch- pathognomonische Standpunkt und die Therapie (abschwellende Nasentropfen, Antibiotika, Adenotomie, Paracentese und Paukendrainage) der homoöopathischen Sicht als ein Krankheitsbild im Vorstadium einer drohenden chronischen Krankheit (das heißt der beginnenden psorischen oder sykotischen Infektion) gegenübergestellt. Die Mutter entscheidet sich nach eingehender Erörterung des Sachverhaltes für eine homöopathische Behandlung.
Die anamnestisch gefundenen Symptome sowie die beobachteten Zeichen ergeben nach der Hierarchisierung und Repertorisation gleichermaßen Lycopodium als das Simillimum.
Die Behandlung mit Lycopodium C 200 führt zu einer raschen Heilung.

Summary

A case-study of a 6 ½ year old girl who suffers from relapsed nasal congestion and infection of her right ear, that have led to hearing impairment caused by euphoria. The clinical-pathogonomic perspective and therapy (decongestant nose drops, antibiotics, adenotomy, paracentesis and tympanic drainage) are compared to the homeopathic perspective of a desease pattern in the preliminary phase of an imminent chronic desease (i.e. the onset of a psoric or sykotic infection).
After a detailed discussion of the facts the mother decides in favour of the homeopathic treatment.
After the repertorization and hierarchization of the symptoms described in the case history, as well as the observed signs, everything points towards Lycopodium as simillimum.
The treatment with Lycopodium C 200 results in a rapid healing.

Im Paragraph 6, „Organon der Heilkunst“ [1] legt Samuel Hahnemann dar, wie wichtig für die homöopathische Diagnose sowohl die Symptome sind, über die der Kranke klagt, als auch die Zeichen, welche der Arzt an ihm beobachtet. Er spricht dort von den „Krankheitszeichen, Zufälle(n) und Symptome(n) (…), das ist, Abweichungen vom gesunden, ehemaligen Zustande des jetzt Kranken“ und sagt:

„Alle diese wahrnehmbaren Zeichen repräsentieren die Krankheit in ihrem ganzen Umfange, das ist, sie bilden zusammen die wahre und einzig denkbare Gestalt der Krankheit.“

Symptome wie Zeichen sind also für den homöopathischen Arzt gleichermaßen von Wichtigkeit, und zwar vor allem „die auffallenderen, sonderlichen, ungewöhnlichen und eigenheitlichen (charakteristischen) Zeichen und Symptome des Krankheitsfalles“ (Paragraph 153, „Organon“).

In der Pädiatrie ist die Erfassung von Symptomen naturgemäß oftmals lückenhaft. Gerade die von der Mutter etwa geschilderte Gemütsverfassung ihres Kindes kann durchaus subjektiv gefärbt und zweifelhaft sein und damit bei der Fallbeurteilung in die Irre führen. Eine umso wichtigere Hilfe sind die vom Arzt beobachteten Zeichen am Patienten, weil sie objektiven Charakter tragen und damit eine größere Sicherheit und Zuverlässigkeit bieten. Deshalb nehmen die Zeichen bei der Hierarchisierung oft einen bevorzugten Platz ein und rücken innerhalb der Hierarchisierungsliste eher nach oben. Dr Künzli hat immer wieder auf die Bedeutung der am Patienten beobachteten Zeichen hingewiesen und zahlreiche Rubriken in seinem Repertorium, „Kent´s Repertorium Generale“ [2], die sich auf solche objektiven Zeichen beziehen, mit einem Punkt versehen. Diese „Punkte von Künzli“ stellen das Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrung dar und markieren Rubriken und Arzneimittel, welche für die Auffindung der passenden Arznei von besonderer Bedeutung sind.

Die folgende Fallschilderung soll zeigen, dass die wahrnehmbaren Zeichen bei diesem Kind eine ebenso sichere Arzneimitteldiagnose gestatten wie die Gemüts- und die Allgemeinsymptome.

Fallschilderung

Am 8. Mai 1989 kommt die sechseinhalbjährige Verena erstmals in die Praxis. Sie leidet an einer rezidivierenden Mittelohrentzündung, vorwiegend des rechten Ohres, und einer Hörschwäche infolge eines beidseitigen Paukenergusses*. Von der HNO-Ärztin wurde deswegen die operative Entfernung der Rachenmandel (Adenotomie*) sowie der Einsatz von Paukenröhrchen in das Trommelfell (Paukendrainage*) empfohlen. Die Eltern wollen diese Maßnahme vermeiden und möchten einen Versuch mit homöopathischen Mitteln unternehmen. Es erfolgt eine Erörterung der Problematik, eine klinische Untersuchung des Kindes, eine Anamnese zur Auffindung der homöopathischen Arznei und die entsprechende Behandlung.

Erörterung der Problematik

Zur Darstellung des modernen HNO-ärztlichen Standpunktes möchte ich das Lehrbuch von Keller und Wiskott aus dem Kapitel „Seröse und muköse Mittelohrentzündungen“
zitieren [3]:

„Bei der Pathogenese dieses Krankheitsbildes spielt die Insuffizienz der Ohrtrompete und die damit verbundene tympanale Ventilationsstörung eine dominierende Rolle. Anhaltender Unterdruck setzt durch die Schleimhautschwellung im Mittelohrbereich und durch die Transsudatbildung einen Circulus vitiosus in Gang, bei dem der Unterdruck schließlich selbst zum stenosierenden Faktor wird, der die Tubenöffnung zunehmend erschwert.
Als akute direkte Ursache für eine tubale Insuffizienz sind häufig banale Nasen-racheninfekte anzuschuldigen, im übrigen kommen aber vor allem vergrößerte Adenoide in Betracht. Sie behindern seltener als ein echtes mechanisches Hindernis den Tubenmechanismus, sondern stellen sehr viel häufiger aufgrund ihrer Keimbesiedelung eine Infektionsquelle für die Ohrtrompete dar. (…)

Als Folge der Ventilationsstörung und des Unterdruckes im Mittelohr verwandelt sich das primär einschichtige Epithel in ein mehrschichtiges respiratorisches Epithel mit Flimmerzellen und zahlreichen sekretorischen Elementen (Becher-Zellen, muköse Drüsen).“

Je nachdem, ob man der schulmedizinischen oder der klassisch-homöopathischen Auffassung über die Natur der vorliegenden Erkrankung folgt, ergeben sich unterschiedliche therapeutische Konsequenzen. Die von Seiten der Schulmedizin üblicherweise empfohlene Therapie mit abschwellenden Nasentropfen, Antibiotika und schließlich der Adenotomie, der Parazentese und der Dauerdrainage des Mittelohres über ein sogenanntes Paukenröhrchen wird von vielen Eltern abgelehnt. Ein Hinweis darauf, dass diese Maßnahmen oft keine kurative, sondern lediglich eine palliative Wirkung haben, ist die Tatsache, dass es eine nicht geringe Anzahl an Patienten gibt, bei denen diese Maßnahmen keinen anhaltend günstigen Effekt erzielen und denen deshalb die Paukenröhrchen immer wieder aufs Neue eingesetzt werden. Es ist auch zu fragen, ob nicht die oftmals gleichzeitige häufige Behandlung mit Antibiotika die Chronifizierung dieses Zustands noch fördert.

Entscheidender ist jedoch ein anderer Gesichtspunkt. Mit den Versuchen der Schulmedizin, die vorliegende Erkrankung zu erklären – siehe das oben zitierte Beispiel -, wird sich der homöopathische Arzt nicht ohne weiteres zufriedengeben. Bleiben diese Erklärungen doch die Antwort auf die entscheidende Frage schuldig: Warum kommt es überhaupt zu den die Krankheit angeblich verursachenden Faktoren: der „Insuffizienz der Ohrtrompete“, den „banalen Nasenracheninfekten“, den „vergrößerten Adenoiden“, die „aufgrund ihrer Keimbesiedelung eine Infektionsquelle“ darstellen?

Samuel Hahnemann hat mit seiner Theorie der chronischen Krankheiten bereits im Jahre 1828 [4] den Versuch unternommen, alle derartigen Fragen zu beantworten. Seine Theorie geht davon aus, dass den meisten chronischen Beschwerden eine chronische Infektionserkrankung zugrunde liegt, meist eine sog. Psora oder eine sog. Sykosis bzw. ein Komplex aus diesen beiden Erkrankungen. Wie es beim Krankheitsbild der Syphilis bekannt ist, verlaufe auch bei der Psora und bei der Sykosis die Entwicklung der Krankheit in mehreren Stadien. Diese Krankheitsauffassung Hahnemanns hat Dr. Künzli durch wichtige Beobachtungen bestätigt und bereichert [5]. Künzli geht von einer viralen Natur der Psora-Infektion aus und vermutet als Erreger einen Virus aus der Gruppe der Retro- oder der Herpesviren.

Folgt man dieser Auffassung, dann sind die beschriebenen Krankheitszeichen z.B. bei der kleinen Verena nicht die eigentliche Krankheit selbst, sondern sind Symptome einer tiefer liegenden, wesentlich ernsteren chronischen Erkrankung, welche sich im Beginn ihrer Entwicklung befindet.

Die „banalen Nasenracheninfekte“ beschreibt Hahnemann bereits beim ersten Stadium der Psora, dem Stadium, in welchem sich die chronische Krankheit noch in Latenz befindet. Als Beispiel seien die Naseninfekte genannt [6]:

„Öfter oder langwieriger, Stock- oder Fließschnupfen oder Katarrh (…).
Langwierige Verstopfung des einen oder beider Nasenlöcher.“

Im zweiten Stadium der Psora, dem Stadium der ausbrechenden chronischen Erkrankung, werden die Naseninfekte zahlreicher und vielgestaltiger [7]:

„Schnupfen sogleich, wenn sie in die freie Luft kommt; dann gewöhnlich im Zimmer Stockschnupfen.
Stockschnupfen und verstopfte Nase oft oder fast stets, auch wohl ununterbrochen.
Fließschnupfen bei der mindesten Verkältung, daher am meisten in der rauhen Jahreszeit und bei nasser Witterung.
Fließschnupfen sehr oft, oder fast stets, auch wohl ununterbrochen.“

In diesem Stadium beschreibt Hahnemann gleichzeitig Symptome, welche unter Anderem einer chronischen Otitis zugeordnet werden können [8]:

„Aus dem Ohre Ausfluss dünnen, gewöhnlich übelriechenden Eiters. (…)
Taubhörigkeit von verschiednen Graden bis zur gänzlichen Taubheit, mit oder ohne Geräusch, auch nach der Witterung abwechselnd schlimmer.“

Werden die geschilderten Beschwerden nicht rechtzeitig und wirksam durch eine konstitutio-nelle homöopathische Therapie angegangen, droht sich die chronische Erkrankung weiter fortzuentwickeln. Schließlich wird eines Tages das bisherige zweite Stadium der Psora [9], das Stadium der ausbrechenden Erkrankung, abgelöst durch ihr drittes Stadium, in welchem sich die chronische Krankheit endgültig in einer definierten organischen Erkrankung manifestiert.

Nach dieser Auffassung gilt es, den Anfängen einer weiteren Krankheitskarriere frühzeitig zu wehren und mit dem entzündlichen Prozess im HNO-Bereich gleichzeitig die zugrunde liegende tiefere chronische Erkrankung zum Rückgang zu bringen. Wesentliches Ziel der klassisch-homöopathischen Behandlung ist es also, ernstlichen chronischen Beschwerden, die dem Patienten drohen, weil er sich mit einer Psora oder einer Sykosis infiziert hat, rechtzeitig prophylaktisch entgegenzutreten.

Konkret besteht die Aufgabe des homöopathischen Arztes darin, die für den Patienten ähnlichste homöopathische Arznei zu finden und diese nach den Regeln der homöopathi-schen Heilkunst anzuwenden. Wie schnell ein therapeutischer Erfolg zu erzielen ist, hängt maßgeblich von zwei Faktoren ab:

  1. wie schnell es gelingt, ein gut wirksames homöopathisches Mittel speziell für den betreffenden Patienten zu finden und
  2. wie lange und wie tiefgreifend die organische Störung bereits besteht. Die Behandlung etwa einer Schleimhautveränderung mit ständigem Paukenerguß und daraus resultierenden Hörproblemen, eventuell auch bereits mit einer gewissen Sprachbehinderung, wird im allgemeinen längere Zeit in Anspruch nehmen als z.B. eine beginnende Infektanfälligkeit mit Ohrenbeteiligung.

Erst wenn die Suche nach einem gut wirksamen Simile bzw. nach dem Simillimum des Patienten erfolgreich ist, beginnt im Allgemeinen eine deutlich erkennbare Besserung, ein „Umschwung“ im Befinden des Patienten. Diese Suche kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich lange dauern und oft mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Andererseits kann von Erfolg oder Misserfolg dieser Behandlung das gesundheitliche Schicksal des Patienten in seinem weiteren Leben abhängig sein. Der behandelnde homöopathische Arzt sollte sich also zeitlich nicht unter Druck setzen lassen, etwa weil das Kind bald eingeschult wird. Es ist wichtig, dass die Eltern durch entsprechende Informationsgespräche Einsicht in den Heilungsverlauf erlangen und die entsprechende Ausdauer für die zumeist mehrjährige Behandlungsdauer aufbringen.

Befund

Es handelt sich bei Verena um ein schlankes, „knochiges“ Mädchen mit nach vorn gebeugter Haltung, dunklen Haaren, blauen Augen, rosigen Wangen, aber Blässe um den Mund. Ihr Mund steht offen, die Nase ist beidseitig verstopft, sie hat eine Gefäßzeichnung im Brust-Schulterbereich, einen auffallend schlanken Hals und palpable Lymphknoten am Kieferwinkel und im Nackenbereich. Der Rachen ist ohne Befund, und die Trommelfelle sind wegen Cerumen derzeit nicht einsehbar. Ansonsten besteht kein krankhafter Organbefund.

Die Untersuchung war allerdings nicht leicht. Verena hat zunächst sehr feindselig geschaut und bestimmend gesagt: „Nein, das machen wir nicht!“ Schließlich hat sie die Untersuchung doch zugelassen.

Aus der homöopathischen Anamnese

Es sei die erste Schwangerschaft und die erste Geburt gewesen. Alles sei normal verlaufen, auch die anschließende Säuglingszeit sei unauffällig gewesen.

Die Probleme mit den Ohren seien im Grunde losgegangen, als der jetzt dreijährige Bruder Sebastian zur Welt kam. Etwa zur selben Zeit habe es für Verena zwei weitere einschneidende Ereignisse gegeben: Die Familie sei umgezogen, und ihre Kindergartenzeit habe begonnen.

Seither sei sie phasenweise richtig depressiv. Im Kindergarten sage sie oftmals gar nichts, zu Hause sei sie dagegen „rotzfrech“. Die Kindergärtnerin sei aber auch sehr streng, da traue sich Verena nicht, etwas zu sagen.

Überhaupt sei sie in fremder Umgebung, ohne die Eltern, sehr schüchtern, ja fast feige. Zu Hause sei sie widerspenstig, könne keinen Widerspruch ertragen, gebe Widerworte und müsse stets das letzte Wort haben. „Sie kann ganz schön anschaffen.“

Sie habe eine ausgesprochene Furcht vor Hunden und mache einen großen Bogen um sie, allerdings habe sie einmal ein Hund angefallen.

Nachts komme sie ins Bett der Eltern.

Ihr sei öfters mal schwindelig; sie habe sich z.B. versteckt, als ihre Freundin mit ihr habe wild schaukeln wollen.

Sie sei ein Bewegungstyp.

Bezüglich Temperatur und Wetter sei sie nicht empfindlich, nur die Sonne möge sie weniger gern.
Zwiebeln möge sie überhaupt nicht, auch Fett möge sie nicht. Nach Süßigkeiten habe sie ein großes Verlangen.

Mal esse sie alles, mal gar nichts.

Der Durst sei normal.

Hierarchisation und Repertorisation

  1. auffallende, sonderliche, eigenheitliche Zeichen nach § 153 Organon
  1. offener Mund, „mouth, open“: Rubrik mit Punkt, ebenso Hauptmann [10], S. 36: „Mund, offen“;
  2. sehr schlanker Hals, „back, emaciation, cervical region“, ebenso Hauptmann [10], S. 41: „Äußerer Hals, schlanker Hals (Abmagerung)“;
  1. gut beobachtete Geistes- und Gemütssymptome:
  1. Verlangen zu widersprechen, „mind, contradict, disposition to“: u.a. Lycopodium mit Punkt;
  2. verträgt keinen Widerspruch, „mind, contradiction, is intolerant of“: u.a. Lycopodium mit Punkt;
  3. dikatorisch, „mind, dictatorial“: Lycopodium mit Punkt;
  4. feige, „mind, cowardice“: diktatorisch daheim und feige in fremder Umgebung ist laut Arzneimittellehre ein typisches Kennzeichen von Lycopodium, z.B. Hauptmann [10], S. 158, 161;
  5. eigensinnig, „mind, obstinate“;
  1. Zeichen und Symptome im Rang von Allgemeinsymptomen:
  1. schwerhörig, „hearing, impaired“, schwerhörig durch Tubenkatarrh, „hearing, impaired, catarrh of eustachian tube“: nur die erstere Rubrik enthält Lycopodium;
  2. dunkle Haare, blaue Augen, „generalities, complexion, blue eyes and dark hair“ (SR), ebenso Hauptmann [10], S. 52: „Haut, Hautfarbe/ Komplexion, Haare, dunkle, und blaue Augen“;
  3. nach vorn gebeugt, „generalities, stoop shouldered“ (SR), ebenso Hauptmann,
    S. 56: „Haltungs- und Bewegungsapparat, Rücken, Haltung, gebeugt, nach vorn“;
  4. Abneigung gegen Zwiebeln, „generalities, food, onions agg.“ bzw. „generalities, food, onions, aversion“ (SR);
  5. Verlangen nach Süßigkeiten, „stomach, desires, sweets“.
  1. Zeichen im Rang von Lokalsymptomen:
  1. Gefäßzeichnung auf der Brust: Hauptmann [10], S. 158, 161 sowie S. 42: „Brustorgane, Brustkorb, Haut, Gefäßzeichnung im Schulter-Brust-Bereich“;
  2. Otitis media (rechts), „ear, inflammation, media“;
  3. verstopfte Nase, „nose, obstruction“.

Lycopodium geht deutlich am hochwertigsten hervor – einmal aus den genannten Zeichen im Range sowohl von auffallenden als auch von Allgemeinsymptomen, zum anderen aus den Geistes- und Gemüts- und den übrigen Allgemeinsymptomen.

Verlauf

15.5.89:
Ich verordne Lycopodium C 200 (DHU), drei Kügelchen.

23.6.89:
Fünf Wochen später berichtet die Mutter, das Hören sei bereits zwei Wochen nach der Mittelgabe besser geworden. Verena sei zu Hause sehr aufsässig, andererseits im Kindergarten „weniger feige“.
In der Praxis verweigert Verena zunächst den Hörtest, macht ihn dann aber doch. Er fällt sehr gut aus: Bei 30 Dezibel hört sie mit beiden Ohren den Signalton auf allen Frequenzen.

22.9.89:
Die Mutter äußert, Verena habe gelegentlich noch einen offenstehenden Mund, höre aber gut. Vor vier Wochen habe sie einen „normalen Schnupfen“ bekommen, der nach drei Wochen von selbst wieder vergangen sei.
Bei der Untersuchung schaut das Kind recht feindselig, ist vorlaut, gibt freche Antworten, läßt sich aber immerhin untersuchen. Die Mutter meint, sie sei eine richtige „Motztante“ und müsse immer das letzte Wort haben.
Ich warte und gebe noch keine neue Arznei.

26.6.90:
Ein dreiviertel Jahr später stellt die Mutter ihre Tochter erneut vor. Seit ein paar Wochen habe sie einen Schnupfen mit verstopfter Nase, insbesondere nachts. Seitdem habe sie auch wieder einen offenen Mund.
Die Untersuchung bestätigt die Auskunft der Mutter, dazu der feindselige Blick von Verena auf den Doktor.
Die Arzneigaben hätten sich übrigens günstig auf ihr Wesen ausgewirkt, meint die Mutter. Dies hier, fährt sie fort, sei wohl wieder, wie früher, ein festsitzender Schnupfen.
Ich verabreiche die zweite Gabe Lycopodium C 200 (DHU), zwei Globuli.

3.5.95:
Auf meine telefonische Nachfrage fünf Jahre später erfahre ich, daß Verena, von leichten katarrhalischen Infekten abgesehen, bis jetzt gesund geblieben sei. Insbesondere sei nie mehr etwas mit den Ohren gewesen.

Nachbemerkung

Ein sehr erfreulicher Verlauf, bei dem die Homöopathie zu einer ungewöhnlich raschen und anhaltenden Heilung der Ohrenbeschwerden geführt hat.

Andererseits stand das Mädchen eine zu kurze Zeitspanne unter meiner Beobachtung, als dass sich bereits eine Aussage darüber treffen ließe, wie weitgehend die den Beschwerden zugrundeliegende Psora bzw. Sykosis durch die nur zweimalige Mittelgabe zurückgedrängt ist. Z.B. könnte die Tatsache, dass, obgleich sich der seelische Zustand des Mädchens gebessert hat, sie sich bei keiner ärztlichen Untersuchung als ausgeglichen zeigte, ein möglicher Hinweis auf eine Fortdauer ihrer gesundheitlichen Störung sein.

Wie die Repertorisation zeigt, lässt sich die indizierte homöopathische Arznei eindeutig durch die Auswertung sowohl der beobachteten Zeichen, als auch der Gemüts- und Allgemein-symptome bestimmen. Die Berücksichtigung der Zeichen sichert zumindest im Kindesalter oftmals die Arzneimitteldiagnose.

Literatur

  1. Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst.
  2. Jost Künzli von Fimmelsberg: Kent´s Repertorium Generale.
  3. Keller, Walter; Alfred Wiskott: Lehrbuch der Kinderheilkunde, Stuttgart, New York, 5. Auflage, 1984, Seite 23.4
  4. 1828 erschien die 1. Auflage seines Werkes: Samuel Hahnemann: Die chronischen Krankheiten.
  5. Z.B. Jost Künzli von Fimmelsberg: Was nützt uns Hahnemanns Doktrin von den chronischen Krankheiten? Zeitschrift für klassische Homöopathie 6 (1962), 270-273;
    – derselbe: Hahnemanns Psoratheorie, anhand der Entwicklung einer chronischen Krankheit illustriert. Zeitschrift für klassische Homöopathie 8 (1964), 195-204;
    – derselbe: Die Sykosis. Deutsches Journal für Homöopathie 1 (1982), 60-65, 146-153, 258-264
  6. Siehe [4], Bd. 1, Seite 59
  7. Siehe [4], Bd. 1, Seite 84
  8. Siehe [4], Bd. 1, Seite 71
  9. Chronische Otitiden können natürlich auch Bestandteil der chronischen Erkrankung einer Sykosis oder Syphilis sein.
  10. Hauptmann = Horst Hauptmann: Homöopathie in der kinderärztlichen Praxis. Heidelberg, 2. Auflage, 1994.
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