Falldarstellungen seiner Schüler

Magenprobleme und Hautausschlag bei einem zehnjährigen Kind

Dr. Monique Altenbach Twerenbold

Das zehnjährige Mädchen A. M. kommt im Herbst 1991 wegen folgender Beschwerden zu mir:

Magen:
Seit mehr als fünf Jahren hat die Patientin ein Aufstoßen, ein Aufschwulken von Nahrung, mundvoll – so die spontane Auskunft des Mädchens. Dieses Aufstoßen der Speisen tritt entweder unmittelbar nach dem Essen oder etwas später auf. Wenn sie Hunger hat, kaut sie das Aufgestoßene wieder und schluckt es. Die Nahrung schmeckt säuerlich. Sie hat das fast täglich. Sie muß alles ganz fein und gut kauen und braucht viel Zeit zum Essen. Beim Essen von Fleisch war es eine Weile besonders schlimm.

Haut:
Seit etwa fünf Jahren leidet sie unter Rissen unten an der Großzehe sowie manchmal an den Großzehenballen, rechts und links. Die Risse schmerzen beim Laufen und Turnen.
Außerdem befindet sich am rechten Fuß zwischen zweiter und dritter Zehe ein Ekzem, und auf dem Fußrücken bestehen rötliche Stellen, die manchmal rauh sind und z.T. Papeln tragen. Papeln finden sich zeitweise auch am rechten Malleolus medialis*.
Schon öfter hat sich die Haut an den Fußsohlen abgeschält, sie ist dort wie abgelöst.

Es bestehen ferner Einschlafprobleme:
Erst nach zwei bis drei Stunden kann sie einschlafen. Sie schläft nicht gerne, möchte lieber etwas anderes machen, z.B. lesen oder fernsehen. Beim Einschlafen hat sie „Träume“: von Männern und Menschen, die ihr nachrennen und sie fangen wollen. Sie zündet dann das Licht an und denkt an etwas anderes. Sie schläft oft auf der linken Seite. Der Schlaf ist oft sehr unruhig.

Sie beschäftigt sich ohnehin viel mit Problemen. Sie will alles bis ins Detail wissen und interessiert sich sehr für die Dinge. Erst in letzter Zeit beginnt sie, sich durchzusetzen. Wenn etwas nicht nach ihrem Sinn läuft, ruft sie aus*. In der Konsultation widerspricht sie ziemlich oft der Mutter.

Sie ist eher klein, fein, hat kastanienbraunes Haar, braune Augen und einen eher dunklen Teint.
Die Zunge ist weißlich belegt, es ist eine Landkartenzunge.
Sie hat breite Zähne.
Die bleibenden Backenzähne haben einen Schmelzdefekt (die Mutter hatte in der Schwangerschaft Fluor eingenommen).
Sie hatte ein Kreuzgebiß, das korrigiert wurde.
Nach einer schwierigen Geburt war die Kleinkindentwicklung normal.
Sie trinkt viel, auch zum Essen, u.a. zum Hinunterspülen.
Sie mag nicht gerne Fenchel, Kaffee, Bananen und Milch.
Ihr ist oft kalt.
Nebel, Regen und kalten Wind hat sie nicht gern.

Folgende Symptome habe ich als wichtig erachtet und repertorisiert:

  1. auffallende, sonderliche Zeichen und Symptome nach § 153 Organon:
  1. Aufstoßen von Nahrung, mundvoll („Mundgröße“), „stomach, eructation food, by the mouthful“: auffälliges Symptom, eine „Künzli-Punktrubrik“;
  2. Landkartenzunge, „mouth, mapped tongue“: objektives Symptom, eine „Künzli-Punktrubrik“;
  3. Schälen der Haut an der Fußsohle, „extremities, eruptions, foot, sole of, desquamating“;
  4. Risse an den Fußsohlen, „extremities, cracked skin, feet, soles“: Zwar sind die letzten beiden Zeichen Lokalsymptome, aber doch eher außergewöhnliche, wie sie nach Dr. Künzli in die Kategorie der auffallenden, sonderlichen Symptome gehören;
  1. gut beobachtete Geistes- und Gemütssymptome:
  1. Neigung zum Widersprechen, „mind, contradict, disposition to“;
  1. Allgemeinsymptome:
  1. Schlaf in Linksseitenlage, „sleep, position, side, left“ bzw. „generalities, lying, side, left, amel.“(SR): Nach Dr. Künzli sollte man beide Rubriken berücksichtigen;
  2. Träume, verfolgt zu werden, „sleep, dreams, of being pursued“: Träume sind ja eigentlich wichtige Symptome, m. E. sind Verfolgungsträume jedoch häufig und meist unspezifisch;
  3. Mangel an Lebenswärme, „heat, vital, lack of“;
  4. Milchabneigung, „stomach, aversion, milk“ und „generalities, food, milk aggr.“: Nach Dr. Künzli sind in solch einem Fall beide Rubriken, die Abneigung und die Verschlimmerung, zu berücksichtigen;
  5. mag nicht gerne Bananen, „stomach, aversion, bananas“(SR).

Unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Symptome entschied ich mich für Arsen.

 

24.9.91:

Verabreichung von Arsen C 200(jeweils Schmidt-Nagel).

 

12.10.91:

Es juckt an den Füßen, sie reibt sie nachts. Wie verkrustet oben an den Fußrücken. Die Risse sind nicht schlimm. Insgesamt trockene Haut.

Weiteres Vorgehen:

Abwarten.

 

19.11.91:

Es sei gar nichts besser.

Auf genauere Nachfrage ergab sich jedoch:

Die Risse an der Fußsohle sind deutlich weniger häufig, auch keine Entzündung der Haut mehr. Immer noch Risse zwischen den Zehen und Krusten am Fußrücken.

Die Magenbeschwerden sind besser.

Weiteres Vorgehen:

Abwarten – denn sowohl die Magenbeschwerden sind besser, als auch die beschwerlichsten Hautsymptome, nämlich die Fußsohlenrisse. Dagegen hat das Ekzem auf dem Fußrücken zugenommen, was zur Information führte, daß „gar nichts besser geworden“ sei. (!)

 

12.10.92:

Es sei noch immer nicht besser, sagte die Mutter beim telefonischen Bericht, sie will deshalb mit ihrer Tochter vorbeikommen. Da uns Dr. Künzli eingehämmert hatte, uns nicht mit Pauschalantworten zufrieden zu geben, sondern jeweils genau nachzufragen, bohrte ich in der anschließenden Konsultation nach und erfuhr:

Haut:

Die Hautprobleme seien eben noch gleich: hie und da einzelne Fußsohlenrisse, aber das Ekzem am Fußrücken sei gleich. Neu ist jeweils eine kleine Ekzemstelle am linken Fussrücken und am Oberschenkel. Die Flecken sind juckend, vor allem nachts; sie zieht Socken an, um nicht zu kratzen. Der Fleck am Oberschenkel juckt nicht.

Schlaf:

Der Schlaf ist gut, Einschlafen nach 1/2 bis 1 Stunde.

Magenbeschwerden:

Die Magenbeschwerden seien etwa einen Monat nach Mitteleinnahme vergangen und seit dem Winter 1991/92 so gut wie nie wieder aufgetreten, nicht einmal vereinzelte Male!

Seit Sommer 1992 ißt sie viel, auch Gemüse und will nun auch Znüni und Zvieri*.

Sie ißt schnell und trinkt immer noch zum Essen.

Die tägliche Trinkmenge ist groß; nachts steht sie auf, um etwas zu trinken.

 

Schlußfolgerung:

Als erstes haben Schlaf und Magen gebessert; d.h. gemäß dem zweiten Heringschen Gesetz* verschwinden die Symptome zuerst im Körperinnern, dann erst außen – also eine gute Reaktion, der Prozeß geht in Richtung Heilung. Ich entschließe mich zur Wiederholung der Gabe, da das Ekzem doch ziemlich störend ist.

 

13.10.92:

Verabreichung einer zweiten Dosis ArsenC 200.

 

7.11.92:

Das Fußrückenekzem ist besser.

 

30.11.92:

Das Ekzem viel besser und juckt nicht mehr, sie muß nachts auch keine Socken mehr tragen.

 

6.2.93:

Die Haut ist praktisch gut.

 

Im Dezember 1995:

berichtet die Mutter, ihre Tochter sei mittlerweile in der Pubertät. Sie habe nie wieder Magenprobleme und nie mehr Hautprobleme gehabt.

Ins Glossar

Heringsche Regel
Das Heringsche Gesetz bzw. Regel besagt, es sei Zeichen der Heilung, wenn die Symptome des Patienten in folgender Abfolge vergehen:

  1. von oben nach unten (1. Gesetz),
  2. von innen nach außen (2. Gesetz) und
  3. in der umgekehrten Reihenfolge, in welcher sie ursprünglich beim Patienten aufgetreten sind (3.Gesetz).
Malleolus
medialis rechts
Innenknöchel des rechten Sprunggelenks
Znüni und Zvieri
schwzdt. für: Zwischenmahlzeiten um neun Uhr vormittags bzw. um vier Uhr nachmittags
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