Behandlung eines Brüderpaares: Zahnkaries, Infektanfälligkeit
Verena Wladika
Als der sechsjährige Andreas F. am 30. Januar 1984 zum ersten Mal zu mir kommt, sind alle Milchzähne tief kariös. Bei einzelnen Zähnen haben sich Fisteln gebildet. Er hat immer wieder Schmerzen, die sich bessern, wenn sich die Fisteln entleeren.
Nun, da die bleibenden Zähne durchbrechen, macht sich die Mutter große Sorgen. Es sei ja auch kein Wunder, daß ihr Sohn so schlechte Zähne habe bei diesen Eßgewohnheiten, klagt sie. Er ist einfach unglaublich heikel – Zureden, Strafen, Bestechung, alles nützt nichts, er lehnt fast alles ab. Er ernährt sich von Milch, Mehlspeisen, Süßigkeiten, eventuell noch von Haferflockensuppe, manchmal auch Fisch, da will er es seinem älteren Bruder gleichtun. Ganz ungern hat er Karotten. Bei den Mahlzeiten ißt er ganz wenig, dafür schleckt er zwischendurch.
Auch in anderen Bereichen ist er recht eigensinnig, kann nicht nachgeben, hält aber auch eisern durch, wenn er sich etwas vorgenommen hat. Bei Sachen, die ihm wichtig sind, ist er sehr genau. Wenn er sich ärgert oder traurig ist und weint, geht er in sein Zimmer.
Andreas ist für sein Alter sehr klein und zart. Er hat blonde, feine Haare und blaugraue Augen. Wenn er müde ist, wird er blaß und bekommt dunkle Augenringe.
Sonstige Erkrankungen:
Zwei- bis dreimal Pseudokrupp als Kleinkind, dann immer wieder Erkältungen und vor allem Anginen und Mittelohrentzündungen, die vorwiegend rechts auftraten und jeweils antibiotisch behandelt wurden.
Er hat ziemlich spät gehen gelernt.
Andreas kann lange nicht einschlafen. Er liegt meistens auf dem Bauch, eventuell auch seitlich; der Mund ist dabei offen.
Er hat nachts oder beim Aufwachen öfters Nasenbluten.
Wolle mag er nicht.
Er verträgt auch nichts Enges am Hals, das würgt ihn.
Auf meinen Vorschlag, doch etwas strenger gegen das Naschen und Zwischendurchessen vorzugehen, meint die Mutter, das sei ja das Problem: Sobald er Hunger habe, bekomme er Kopfweh und sei so unausstehlich, daß sie halt immer wieder mürbe werde.
Das Auffallendste bei diesem Kind schien mir der ausgeprägte Eigensinn, das Verhalten bei Hunger und die Genauigkeit bei einem Kind dieses Alters. Auch der Kleinwuchs, die kleinen Portionen beim Essen, die rezidivierenden Anginen rechts und die Zahnfisteln passen ins Bild von Lycopodium, das ich ihm am 30.1.84 zum ersten Mal als C 30 (Schmidt-Nagel) gegeben habe.
- auffallende, sonderliche Zeichen und Symptome nach § 153 Organon:
- Kopfschmerz durch Hunger, „head, pain, fasting, from“, bzw. Kopfschmerz, wenn der Hunger nicht sofort gestillt wird, „head, pain, fasting, if hunger is not appeased at once“: bei diesem Symptom findet sich speziell Lycopodium von Dr. Künzli mit einem Punkt markiert;
- immer wieder rechtsseitiger Halsschmerz, „throat, pain, right“;
- offener Mund im Schlaf, „mouth, open, during sleep“;
- gut beobachtete Geistes- und Gemütssymptome:
- rezidivierende Anginen, „throat, inflammation, tonsils, recurrent“;
- rezidivierende Zahnabszesse, „teeth, abscess of roots“;
- Frechheit, „mind, impertinence“ (SR);
- Allgemeinsymptome:
- Kleinwuchs, „generalities, dwarfishness“ (SR): dort findet sich Natrium muriaticum von Pierre Schmidt nachgetragen;
- Unverträglichkeit von Wolle, „skin, itching, wool aggr.“: laut persönlicher Mitteilung von Dr. Künzli ist in dieser Rubrik Natrium muriaticum nachzutragen;
- Kleinwuchs, „generalities, dwarfishness“: Lycopodium mit Punkt von Dr. Künzli;
- ißt nur in kleinen Portionen, „generalities, eating to satiety“: Lycopodium ebenfalls mit Punkt;
- Abneigung gegen Karotten, laut Dr. Künzli auch unter „Verschlimmerung“ nachzu- schlagen, „generalities, food, carrots aggr.“.
Im Laufe der nächsten Jahre, bis 1989, brauchte er Lycopodiumin seltenen Gaben (jeweils Schmidt-Nagel) in aufsteigenden Potenzen wegen Anginen, bei neuen Dingen, die auf ihn zukamen – also eine Erwartungsangst, eine Furcht, etwas Neues zu unternehmen – z.B. einmal, als er typischerweise vor der ersten Skiwoche eine eitrige Angina bekam. Sie war mit Lycopodium Mam nächsten Tag gut und die Skiwoche gerettet.
Die Kariesneigung ist, obwohl es lange gedauert hat, bis er zu einer normalen Ernährung gefunden hat, ganz zurückgegangen. Die Infektionsanfälligkeit ist verschwunden. Als Zahnärztin hat mich besonders beeindruckt, daß auch die Zahnfehlstellung im Lauf der homöopathischen Behandlung ohne andere Maßnahmen verschwunden ist.
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