Falldarstellungen seiner Schüler

Akute Periarthritis humeroscapularis

Ruedi Hoppler

Herr R.S., geboren 1950, kommt an einem Montag morgen im Februar 1994 notfallmäßig in die Sprechstunde. Er war in den Skiferien und im Verlaufe dieser Woche traten zunehmende Schulterschmerzen rechts auf, wie er sie bisher nie gekannt hat. Gestern ging er deshalb noch nach Leukerbad, ein Thermalbad, was keine Linderung brachte, sondern es wurde letzte Nacht noch viel schlimmer. Ich kenne Herrn S. seit einigen Jahren. Bisher erhielt er Pulsatillaals chronisches Mittel.

Bei der Untersuchung ist die lange Bizepssehne neben dem Tuberculum maius sehr druckdolent, das übrige Schultergelenk aber unauffällig.

Es ist mir nicht möglich, irgendwelche Zusatzsymptome zu erhalten, so daß ich bezüglich Mittelwahl völlig im Dunkeln tappe. Was also tun? Dr. Künzli hat uns für solche Fälle immer geraten, zuzuwarten bis sich klare Symptome ergeben. Ich erkläre dem Patienten also mein Problem und schicke ihn nach Hause. Er soll sich am Nachmittag nochmals melden.

Um 16 Uhr erhalte ich ein Telefonat. Er halte es jetzt wirklich nicht mehr aus, es sei unerträglich. Er hat kalte Umschläge versucht, und es wurde schlimmer. Dann versuchte er es mit heißen Umschlägen, und es wurde nochmals schlimmer. Es ist ein intensiver pulsierender Schmerz, und jede Berührung der Schulter schmerzt unerträglich. Mehr kann ich nicht in Erfahrung bringen.

Ich schlage im Repertorium Generale unter „extremities, pain, shoulder“ nach. Da finden sich die Unterrubriken „pulsating“ und „touching, when“ – selbst Umschläge werden nicht ertragen. In beiden Rubriken kommt Acidum muriaticumvor, in „touching, when“ von Dr. Künzli nach Hahnemann nachgetragen. Es sind für mich die zwei einzigen auffälligen Symptome, aber Acidum muriaticumhabe ich nun wirklich nicht erwartet.

In Hahnemanns „Chronischen Krankheiten“ [1] finde ich dann unter Acidum muriaticumdie folgenden zwei Symptome:

  • „Reißen in der rechten Achsel, mit Schmerz bei Berührung“ und
  • „Klopfen in der rechten Achsel, mit lähmigem Schmerze darin“.

Ich lasse also eine Dosis Acidum muriaticum M(Schmidt-Nagel) abholen, die Herr S. gegen

18 Uhr einnimmt. Am nächsten Tag warte ich gespannt auf eine telefonische Nachricht, aber vergeblich. Erst nach vier Tagen meldet er sich wieder: Er habe jede Nacht gut geschlafen, bereits am Morgen des folgenden Tages seien die Schmerzen nur noch mäßig stark gewesen, so daß er wieder seiner gewohnten Arbeit nachgehen konnte. Jetzt, nach vier Tagen, kann er seine Hand bereits wieder hinter den Kopf heben. Innerhalb einer weiteren Woche ist er beschwerdefrei, und es ist auch kein Rezidiv mehr aufgetreten (letzter Kontakt am 12.4.95).

  1. Literatur:

    1. Samuel Hahnemann: Die chronischen Krankheiten. Band IV, Seite 287, Symptome 391 und 395
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