Originalarbeiten Dr. Künzlis

Die Quinquagintamillesimalpotenzen (ZKH 1960 / Heft 2)

J. Künzli von Fimelsberg

Die Arbeit stützt sich auf die modernste Ausgabe des „Organon“, die französische Übersetzung der 6. deutschen Auflage von PIERRE SCHMIDT.

Bezeichnung: Q-Potenzen oder Quinquagintamillesimalpotenzen.

(Quinquaginta mille = 50 000, da die Verdünnungsstufe 50 000 pro Potenz beträgt, statt 100 wie bei den Centesimal- oder gar nur 10 bei den Dezimalpotenzen.

Wortbildung analog zu

C-Potenzen = Centesimalpotenzen,

D-Potenzen = Dezimalpotenzen).

oder 50000er Potenzen 

oder Plus-Potenzen (diese Bezeichnung ist aber ungenügend, denn man kann auch C-Potenzen und D-Potenzen nach der Plusmethode verabreichen, d. h. jede Gabe etwas höher potenziert)

oder médicaments au globale, Kügelchenpotenzen (HAHNEMANN), da man zur Herstellung der höheren Potenz jeweils e i n Kügelchen verwendet und nicht ein Gran oder einen Tropfen wie bei den üblichen Potenzierungsverfahren oder LM-Potenzen (von LM = 50 000 abgeleitet. Diese Schreibweise kann zu Verwechselungen mit den Korsakoff-Potenzen C 50 000 führen, die man auch mit den Buchstaben LM bezeichnet, z. B. Sulfur LM. Dazu ist diese Schreibweise komplizierter. Ein Q ist leichter geschrieben als die beiden Zeichen L und M).

Die einzelne Q-Potenz wird nach HAHNEMANN mit römischen Zahlen bezeichnet, also z. B. Q I, QXXX etc.

HAHNEMANN führte diese Potenzen ein, um vor allem bei chronischen Leiden schnellere Heilungen zu erzielen (s. § 246 des „Organon“).Man kann mit ihnen auch die homöopathische Erstverschlimmerung umgehen, was manchmal vorteilhafter erscheint (§161).

Die Herstellungsweise derselben weicht von derjenigen der Centesimal- und Dezimalpotenzen ab, ebenso ist die Verabreichungsweise an den Kranken eine ganz andere.

 

Die Herstellung der Q-Potenzen

(nach „Organon“ §§ 266—270):

Ca. 5 Centigramm[1] der zu potenzierenden Substanz [2] werden zuerst durch dreistündiges Reiben mit dreimal 5 Gramm [3] Milchzucker zur millionsten Pulververdünnung (C 3) gebracht.

Aus Gründen, die in den Anmerkungen 10 und 11 angegeben sind, werden  zuerst 5 cg dieses Pulvers in 500 Tropfen eines aus 1 Teil 90°igem Alkohol [4]und 4 Teilen destilliertem Wasser bestehenden Gemisches aufgelöst („Stammlösung“ zu nennen). Nachdem dies ausgeführt ist, fügt man einen einzigen Tropfen dieserStammlösung zu 100 Tropfen 95°igem Alkohol [5] die in einem kleinen Fläschchen[6] bereitgehalten werden. Dann gibt man dem, mit seinem Stöpsel sorgfältig zugepfropften Fläschchen 100 starke Schüttelschläge, mit der Hand gegen einen harten, aber elastischen Körper geführt [7].

Dies ist die Arznei im ersten Dynamisationsgrade. Mit dieser Arzneiflüssigkeit befeuchtet man sorgfältig [8] feine Zuckerstreukügelchen[9].

Die so zu Arzneiträgern gemachten Kügelchen werden schnell auf Fließpapier ausgebreitet, getrocknet und in einem zugepfropften Gläschen aufbewahrt, mit dem Zeichen des ersten (I) Potenzgrades.

Hiervon wird nur ein einziges [10] Kügelchen zur weiteren Dynamisierung genommen, in ein zweites, neues Fläschchen getan (mit einem Tropfen Wasser, um es aufzulösen) und dann mit 100 Tropfen 95°igem Alkohol auf gleiche Weise mittels 100 starker Schüttelstöße dynamisiert.

Mit dieser alkoholischen Arzneiflüssigkeit werden wiederum Streukügelchen benetzt, schnell auf Fließpapier ausgebreitet, getrocknet, in einem verstopften Glase vor Hitze und Tageslicht verwahrt und mit dem Zeichen des zweiten Potenzgrades (II) versehen. — Und so fährt man fort, bis durch gleiche Behandlung ein aufgelöstes Kügelchen XXIX mit 100 Tropfen Weingeist, mittels 100 Schüttelstößen, eine geistartige Arzneiflüssigkeit gebildet hat, wodurch damit befeuchtete und getrocknete Streukügelchen den Dynamisationsgrad X X X erhalten. Durch diese Bearbeitung roher Arzneisubstanzen entstehen Bereitungen, welche hierdurch erst die volle Fähigkeit erlangen, die leidenden Teile im kranken Organismus treffend zu berühren und so durch ähnliche, künstliche Krankheitsaffektion dem in ihnen gegenwärtigen Lebensprinzip das Gefühl der Krankheit zu entziehen. Durch diese mechanische Bearbeitung, wenn sie nach obiger Lehre gehörig vollführt worden ist, wird bewirkt, daß die im rohen Zustande sich uns nur als Materie darstellende Arzneisubstanz mittels solcher höheren und höheren Dynamisationen sich endlich ganz[11] zu geistartiger Arznei-Kraft subtilisiert und umwandelt, welche  a n  s i c h zwar nun nicht mehr in unsere Sinne fällt, für welche aber das arzneilich gewordene Streukügelchen, schon trocken, weit mehr jedoch in Wasser aufgelöst, der T r ä g e r wird und in dieser Verfassung die Heilsamkeit jener unsichtbaren Kraft im kranken Körper beurkundet.

Dies ist die Herstellungsweise der Q-Potenzen, die bisher von k e i n e m Menschen genau so durchgeführt worden ist, wie es HAHNEMANN verlangt. Jeder hat wieder seine eignen Q-Potenzen entwickelt, so daß wir vollkommen außer Stande sind, die mit Q-Potenzen von verschiedenen Autoren erhaltenen Resultate miteinander zu vergleichen. Es wäre höchste Zeit, daß wir diesem unwissenschaftlichen Wesen nun einmal ein Ende setzen, indem nur noch echte Q-Potenzen nach HAHNEMANNS Vorschrift als Standard hergestellt würden.

Aber auch die Anwendungsweise der Q-Potenzen am Patienten ist neu und anders, als man es mit den C- und D-Potenzen bisher gewohnt war.

Die Anwendungsweise der Q-Potenzen:

Ich will nun die handlichste Anwendungsweise der Q-Potenzen, genau nach HAHNEMANN, die ich selbst stets verwende, erwähnen.

Man gibt ein Kügelchen der gewählten Potenz — man beginnt im allgemeinen mit Q I — in etwas Milchzucker in eine Papierkapsel hinein.

Dann füllt man eine 150 ccm-Flasche ( = 1 0 Eßlöffel) zu etwa 8/10 mit Wasser von der Röhre (sofern nicht chloriertes Wasser!) und gibt dazu etwa 1/10 Weingeist (Alkohol 95°), damit das Wasser sich länger hält.
Diese beiden Sachen gibt man nun dem Patienten mit nach Hause. Zuhause muß er dann das feine Kügelchen in dem Milchzucker zerquetschen, etwa mit einem Messergriff und danach den ganzen Kapselinhalt in die Flasche schütten. Dies ist nun die Stammlösung, aus der die Medizin jeweils entnommen wird.

Warum gibt man das zerquetschte Kügelchen im Milchzucker nicht schon im Sprechzimmer in die Flasche? Das schiene doch einfacher. Wenn man es so machen würde, trägt der Patient die Flasche also nach Hause, dabei wird sie ungezählte Male geschüttelt, d. h. höher potenziert. Es kommt nun aber bei dieser Methode darauf an, daß der Arzt ganz genau weiß, wie hoch die Potenzstufe bei jeder Gabe ist. Durch ein solches unkontrolliertes Schütteln ginge jede Übersicht verloren. Darum soll die Stammlösung erst zuhause angemacht und dann nur vor jeder Entnahme lO mal geschüttelt, sonst ruhig stehen gelassen werden. Also auch nicht mit auf Reisen nehmen.

Bei chronischen Krankheiten genügt i. a. ein Einnehmen jeden zweiten Abend bei Schlafengehen. Zu diesem Zweck nimmt der Patient die Flasche in die eine Hand und schüttelt sie l0mal kräftig gegen die andere Handfläche. So wird die Stammlösung jedesmal etwas höher potenziert. Und das ist bei dieser Methode erforderlich.

Ist das geschehen, wird 1 Eßlöffel voll daraus in 1 Glas voll frischen Wassers eingerührt. Dies Glas sei etwa gleich groß wie die Flasche mit der Stammlösung. Wenn der eine Löffel der Stammlösung nun gut eingerührt ist, nimmt der Patient 1 Mokkalöffelchen voll ( = 5 ccm) ein. Den ganzen Rest im Glas schüttet man weg und reinigt das Glas sorgfältig.

Am übernächsten Abend wiederholt der Patient die genau gleiche Prozedur: l0 mal Flasche schütteln, 1 Eßlöffel daraus in 1 Glas voll frischen Wassers, davon 1 Mokkalöffelchen voll einnehmen. Rest weg und das Glas gut reinigen. Auf diese Weise ist jede Gabe etwas höher potenziert und nicht genau dieselbe wie die vorangehende. HAHNEMANN schreibt dies vor, um das Auftreten von Arzneimittelsymptomen zu vermeiden. Würde man nämlich nicht jede Gabe höher potenzieren, wäre also jede Gabe genau gleich wie die vorangehende, so wäre dies genau die Technik der Arzneimittelprüfung und das will man ja hier nicht, sondern man will hier heilen. — So wird nun fortlaufend eingenommen, auch wenn deutliche Besserung e i n t r i t t . Das ist ein grundlegender Unterschied zur alten Methode, bei der man anhält und die Mittel nachwirken läßt, wenn Besserung eintritt, und erst bei einem Rezidiv repetiert.

Dies ist die Grundmethode. Es ergeben sich nun freilich viele Modifizierungsmöglichkeiten, die wir nachher besprechen wollen.

Hat man dann die ganze Flasche aufgebraucht, was in ca. 10 maligem Einnehmen erreicht sein soll (man entnimmt jedesmal 1 Eßlöffel von den insgesamt 10 Eßlöffeln Flascheninhalt), so fragt es sich jetzt, was weiter geschehen soll. Vorausgesetzt, das Mittel ist das richtige und man kann also gut weiterfahren, so nehme ich nun ein Kügelchen QIII und lasse wieder eine Flasche Wasser damit „impfen“, genau wie für das Kügelchen Q I beschrieben wurde.

Man kann sich hier fragen, ob man nicht ein Kügelchen Q II nehmen soll statt gleich ein Kügelchen Q III. Ich habe folgende Überlegungen angestellt: Die Flasche mit der QI wurde ja l0mal 10 Schüttelschlägen unterworfen, insgesamt also 100 Schüttelschlägen. Für die Zubereitung der Potenz Q II wird ein Kügelchen QI in 100 Tropfen Alkohol aufgelöst und dann l00mal geschüttelt. Der Schüttelungsgrad ist also auch 100, der Verdünnungsgrad ist freilich 50 000mal größer. Aber immerhin, der Schüttelungsgrad ist auch 100. Da nehme ich doch lieber das Mittel, das sich deutlich auch im Schüttelungsgrad von Q I abhebt, und das ist erst Q III.

Man kann so auch ruhig eine gewisse Ungenauigkeit des Patienten übersehen. Meist kommt er nicht schon in 10 Malen zu Ende mit der Flasche, sondern kommt etwas länger damit aus. Dann wird aber noch mehr als insgesamt lOO mal geschüttelt.

Und welche Potenz nimmt man dann, wenn auch Q III mit Nutzen erschöpft ist? Ich gebe dann wieder gleich Q V und nachher Q VII, IX, XI etc. b i s zur kompletten Heilung. 

Fall 2 der beiden einzigen veröffentlichten Heilungen HAHNEMANNS mit Q-Potenzen (J. KÜNZLI [Dtsch. homöop. Mschr. 7 [1956], 9: 451]) bestärkt mich in der Ansicht, daß die folgende Potenz sich im Schüttelungsgrad deutlich von der vorangehenden abheben soll. — Manch einer denkt, das sei wohl falsch, da HAHNEMANN die Potenzen III, VI, IX, XII, XVIII, XXIV, XXX speziell hervorgehoben habe. Ihm ist zu antworten, daß er dies wohl für die gewöhnlichen Centesimalpotenzen getan hat, aber nicht für die Q-Potenzen in der definitiven Fassung im „Organon“.

Ich ließ mich auch aus praktischen Gründen zur vorstehenden Methode bestimmen. Es gibt sehr hartnäckige Fälle, die man nicht mit 3, 4 Flaschen geheilt hat, und da dachte ich, ich möchte nicht zu Ende kommen mit meinen Mitteln, bevor der Patient geheilt ist. So stieg ich immer nur um zwei Grade u. zw. mit sehr gutem Erfolg.

Es wäre natürlich möglich, daß beim Steigen von III auf VI, IX, XII etc. das Ganze schneller geheilt worden wäre als mit meinem Steigen von III auf V, VII, IX, XI etc. Das ist noch ein offener Punkt. Nur darf ich sagen, ich bin mit meiner vorsichtigen Methode gut gefahren. Sie hat sich bewährt, wenn jemand es nachmachen will.

Noch eine Frage ist zu klären: Warum läßt HAHNEMANN die Stammlösung in der Flasche nicht direkt einnehmen, sondern verlangt Verdünnung in einem Glas Wasser? Um das Auftreten einer homöopathischen Erstverschlimmerung (die nicht stets erwünscht ist) und von Arzneimittelsymptomen zu vermeiden. Gibt man die Stammlösung unverdünnt ein, so kann man bei etwas sensibleren Patienten danach wirklich Arzneimittelsymptome zusätzlich zu den Krankheitssymptomen, die der Patient schon hat, hervorrufen. Dadurch kompliziert man die Sachlage. Man hat an einem derartigen Vorgehen also kein Interesse, weder der Arzt, noch der Patient.

Es gibt nun Patienten, denen ist auch die Verdünnung mittels eines Glases Wasser noch zu stark. Sie bekommen auch von dieser Verdünnung noch Arzneimittelsymptome oder eine starke homöopathische Erstverschlimmerung, trotzdem das Mittel ganz eindeutig ihr Heilmittel ist. Die Hyperthyreotiker gehören hierher. Da muß man ein weiteres Glas voll frischem Wasser richten und aus dem ersten Glas einen Eßlöffel voll in dies zweite Glas einrühren und dann hiervon den Mokkalöffel voll einnehmen lassen. Danach beide Gläser ausschütten und gut reinigen. Und für das nächste Einnehmen wieder genau dieselbe Verdünnung mit zwei Gläsern durchführen.

Auch dies kann noch zu stark sein, so daß man noch ein drittes Glas in gleicher Weise verwenden kann.

Wir dürfen nicht vergessen, daß diese handlichere Methode aus jener andern Methode mit v i e l Wasser zur Auflösung des Kügelchens hervorgegangen ist: 40, 30 oder 20 Eßlöffel, d. h. 600—300 Kubikzentimeter. So große Flaschen sind aber unförmig und unpraktisch zu handhaben, darum hat dann HAHNEMANN eine praktischere Methode ausgearbeitet (Organon § 248).

Von unserer Standardmethode können wir nun tausend Modifikationen durchführen, ganz nach der Art des zu behandelnden Falls. 

Die weitere Verdünnung habe ich schon erwähnt. Man kann auch andere Löffel nehmen, größere Quanten, kleinere Quanten. Man kann häufiger repetieren, aber immer nach vorherigem Höherpotenzieren der Stammlösung.

Man kann auch statt der immer gleich großen Gaben steigende Gaben verwenden, wie auch schon HAHNEMANN beschreibt. Ich habe auch diesbezüglich Versuche gemacht, bin aber zu keinen eindeutigen Schlüssen gekommen und bevorzuge heute die oben beschriebene Standardmethode.

Man kann aber auch noch eine ganz andere Anwendungsweise versuchen, von der wir bis jetzt noch nicht sprachen.

Man kann die Q-Potenzen auch als Einzelgabe, ein Kügelchen in etwas Milchzucker oder ohne solchen, trocken auf die Zunge geben und nach- wirken lassen. Man kann ein Kügelchen Q I trocken geben oder ein Kügelchen Q XXX, also tief oder hoch. Es wirkt auch so, und es wirkt eine bestimmte Zeit. Daß aber ein Kügelchen hoch, etwa Q XXX, trocken gegeben, so mirakulös wirke, wie SANKARAN (Brit. homöop. J. 47, 4. Okt. 1958: 281) angibt, kann ich durchaus nicht bestätigen. M. E. wirkt eine Korsakoff-Potenz XM viel eindrücklicher.

Es ist verständlich, daß, wenn man ein Kügelchen trocken gibt, die Gefahr der homöopathischen Erstverschlimmerung und der Arzneimittelsymptom- produktion noch größer ist, als wenn man Stammlösung unverdünnt verabreicht. Das ist logischerweise zu erwarten und erfüllt sich auch praktisch. Obwohl das Mittel vollkommen indiziert ist, versetzt es doch den sensibleren Patienten in den ersten Tagen in einen recht unangenehmen Zustand.

So gibt man, wenn man eine Einzelgabe geben und nicht plus-potenzieren will, am besten das Kügelchen in 1 Glas frischen Wassers, läßt es sich lösen und rührt dann 1 Eßlöffel voll daraus in ein zweites Glas frischen Wassers ein und läßt nun erst hiervon 1 Mokkalöffelchen einnehmen. Dies ist dann die eine Gabe, die man nachwirken lassen kann. Sie wirkt mild, provoziert i. a. keine homöopathische Erstverschlimmerung, keine Symptome von sich aus und wirkt, wenn das Mittel indiziert war, auch die gewöhnlichen 35 Tage im Minimum. Bei sensibleren Pat. kann man auch mittels eines dritten Glases Wasser modifizieren, auch nur für eine Einzelgabe.

Es ist bedauerlich, feststellen zu müssen, daß alle bisherigen Propagatoren der Q-Potenzen diese so genau beschriebene und von HAHNEMANN dringend geforderte Anwendungsweise der neuen Potenzen gänzlich vernachlässigt, ja überhaupt übersehen haben. Dabei zitieren Sie selbst doch immer ihr „Macht’s nach, aber macht’s genau nach“.

Da kam z. B. eine Patientin mit Amenorrhoe (Ke. E.) zu mir in die Sprechstunde. Der Arzt, den sie vorher konsultiert hatte, gab ihr ein kleines 10 ccm- Fläschchen voll einer wäßrigen Alkohollösung und darin ein Kügelchen Natr. mur. Q VI. Die Indikation für Natr. mur. war unbedingt da. Nun aber mußte die Patientin aus diesem Fläschchen alle Tage ein paar Tropfen nehmen, immer nach 10 maligem Schütteln des Fläschchens. Das Resultat war, daß sie mit einer ganzen Reihe neuer, bisher nie gehabter Natr.-mur.-Beschwerden zu ihren alten Leiden hinzu in die Sprechstunde zu mir kam. Meine erste Tat war Absetzen dieser viel zu starken Dosierung, und die neuen Natr.-mur.-Symptome verloren sich auch nach und nach. Was wäre eingetreten, wenn man diese Dosierung nicht abgestoppt hätte? Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Patientin dann auf diese Weise ein paar vielleicht recht lästige Natr.-mur.-Symptome für ihr ganzes weiteres Leben eingeprägt erhalten hätte. Schon HAHNEMANN sagt doch:Absetzen (bei Arzneimittelprüfungen), wenn die Symptome kommen. Wenn man dann nicht absetzt, kann man für das ganze Leben Symptome erzeugen. Das hat uns auch KENT (La Science et TArt de l’Hom., Paris 1958, chap. 28, p. 277) gelehrt, aber auch unsorgfältige Prüfungen lehren uns das gleiche heute noch (RICHWIEN [Dtsch. homöop. Mschr. 1958, 9: 403]).

Dies ist nur e i n Beispiel, die Literatur der genannten Propagatoren gibt noch viele andere.

Es ist wirklich bedauerlich, daß dieser ganz unwissenschaftliche Geist, der schon HAHNEMANN das Leben so verbitterte und unsere Heilmethode einige Male nahe an den Ruin führte, immer noch in unsern Reihen herumspukt.

(Anschr. d. Verf.: Dr. J. Künzli v. Fimelsberg, St. Gallen, Rosenbergstr. 14)

 

Anmerkungen zum Artikel „Die Quinquagintamillesimalpotenzen“

von Dr J. Künzli von Fimelsberg

[1] HAHNEMANN nennt ein Gran. Das Gran seiner Epoche entspricht heute 6,4798918 Centigramm (TROY). Man muß aber annehmen, daß HAHNEMANN mit Nürnberger Gewicht gerechnet hat, was nach der 2. Auflage der Deutschen Pharmakopoe von 1950 6,20 Centigramm (1 Centigramm gleich 0,01 Gramm) ergibt. Es ist jedoch sozusagen sicher, daß HAHNEMANN, wenn er heute lebte, 5 Centigramm angeben würde, eine praktischere Maßeinheit, mit der sich leichter rechnen läßt. Wir haben deshalb überall 5 Centigramm eingesetzt.

 

[2] Ist dieselbe fest, so nimmt man z. B. 5 cg pulverisierten Quarz, 5 cg Austernschalenkalk, 5 cg Drogenpulver (s. § 268), aber ein paar Mal 5 cg frische Pflanzen (s. § 271) etc., ist die Substanz ölig, nimmt man einen Tropfen z. B. Petroleum, Queck- silber etc., ist sie flüssig, so z. B. einen Tropfen Pflanzentinktur nach HAHNEMANN (s. § 267, wobei aber § 271 wichtiger ist).

Für jede einzelne Substanz muß das arzneikräftigste Ausgangsmaterial gewählt werden. Inwieweit die moderne homöopathische Pharmazeutik dieser Verfahrensweise Rechnung trägt, ist mir nicht genau bekannt. Es wäre durch einen Pharmazeuten festzustellen. Nur ist nie zu vergessen, daß HAHNEMANN immer möglichst einfache Methoden angibt, um auch dem praktizierenden Arzt die Selbstherstellung der Arzneien zu ermöglichen. Seine Arzneimittelprüfungen sind ebenfalls mit nach obiger Methode hergestellten Mitteln durchgeführt worden. Daher verdient diese Methode unbedingt besondere Beachtung.

 

[3] D. h. je dreistündige Verreibung mit je 5 g Milchzucker. Man trägt den dritten Teil von 5 g Milchzucker in eine glasierte, porzellanene, am Boden mit feinem, feuchtem Sande mattgeriebene Reibeschale und tut dann oben auf dies Pulver 5 cg von der zu bearbeitenden, gepulverten Arzneisubstanz (1 Tropfen Quecksilber, Steinöl usw.). Der zur Dynamisation anzuwendende Milchzucker muß von jener vorzüglich reinen Gattung sein, welche an Fäden kristallisiert, in Form rundlicher Stangen zu uns kommt. Einen Augenblick lang mischt man Arznei und Pulver mittels eines Spatels von Porzellan zusammen und reibt etwa 6, 7 Minuten lang mit dem unten matt geriebenen, porzellanenen Pistill die Mischung ziemlich stark; darauf scharrt man vom Boden der Reibeschale und unten vom ebenfalls unten matt geriebenen Pistill die Masse wohl auf, um sie gleichartig zu machen, binnen etwa 3,4 Minuten; 6—7 Minuten lang fährt man dann wieder, ohne Zusatz, mit der Reibung in gleicher Stärke fort und scharrt während 3, 4 Minuten vom Boden des Mörsers und unten vom Pistill das Geriebene auf, worauf man das zweite Drittel des Milchzuckers hinzutut, einen Augenblick lang das Ganze mit dem Spatel umrührt, mit gleicher Stärke 6, 7 Minuten lang reibt, darauf etwa 3, 4 Minuten lang wieder aufscharrt, das Reiben 6, 7 Minuten lang ohne Zusatz wiederholt und 3, 4 Minuten lang aufscharrt.

Ist dies geschehen, nimmt man das letzte Drittel Milchzucker, rührt mit dem Spatel um, reibt wieder 6, 7 Minuten lang stark, scharrt während etwa 3, 4 Minuten zusammen und schließt endlich mit der letzten 6, 7 minütigen Reibung und sorgfältigsten Einscharrung. Das so bereitete Pulver wird in einem wohl zugepfropften, vor Sonne und Tageslicht geschützten Fläschchen aufbewahrt, welches man mit dem Namen der Substanz und mit der Aufschrift des ersten Produktes 100 bezeichnet. Um nun dies Produkt bis zu  10 000 zu erheben, nimmt man 5 cg des Pulvers 100, trägt sie mit dem Drittel von 5 g gepulverten Milchzucker in die Reibeschale, mischt das Ganze mit dem Spatel zusammen und verfährt dann wie oben angezeigt, indem man jedoch sorgfältig jedes Drittel zweimal stark verreibt, jedes Mal während etwa 6, 7 Minuten und unterdes während etwa 3, 4 Minuten aufscharrt, bevor man das zweite und letzte Drittel des Milchzuckers dazutut. Nach Hinzufügung eines jeden dieser Drittel verfährt man auf dieselbe Weise wie zuvor.

Wenn alles beendigt ist, tut man das Pulver in ein wohl verpfropftes, mit der Aufschrift 10 000 versehenes Fläschchen. Wenn man nun in derselben Art mit 5 cg dieses letzten Pulvers verfährt, so erhebt man dasselbe auf I, d. h. auf die millionste Potenz, dergestalt, daß jede 5 cg dieses Pulvers den millionsten Teil der 5 cg der ursprünglichen Substanz enthalten. Demnach erfordert eine solche Pulverzubereitung für drei Grade sechsmal 6, 7 Minuten zur Verreibung und sechsmal 3, 4 Minuten zum Aufscharren, was folglich eine Stunde für jeden Grad bedingt. Dann enthalten nach der ersten, einstündigen Reibung jede 5 cg 1/100 , nach der zweiten jede 5 cg 1/10 000 und nach der dritten und letzten je 5 cg 1/1 000 000 der dazu angewendeten Arzneisubstanz*). Mörser, Pistill und Spatel müssen wohl gereinigt sein, ehe die Bereitung einer andern Arznei damit unternommen wird. Mit warmem Wasser wohl gewaschen und rein abgetrocknet, werden Mörser, Pistill und Spatel dann nochmals 1/2 Stde. lang in einem mit Wasser gefüllten Kessel ausgekocht; man müßte denn etwa die Vorsicht so weit treiben wollen, die Werkzeuge auf Kohlen einer bis zum Anfang des Glühens gesteigerten Hitze auszusetzen.

*) Dies sind die 3 Grade der trockenen Pulververreibung, welche wohl vollführt, schon einen guten Anfang zur Kraft-Entwicklung (Dynamisation) der Arzneisubstanz bewirkt haben.

 

[4] HAHNEMANN nennt hier Branntwein. Das entspricht unserm heutigen 90°igen Alkohol (90gradig, nicht 90prozentig!).

 

[5] HAHNEMANN nennt hier „guten Weingeist“; das entspricht heutigem rektifiziertem Weingeist zu 95°.

 

[6] Um eine gute Durchmischung zu erlauben, sollen die Potenzierfläschchen so groß sein, daß die Flüssigkeit sie nur bis zu zwei Drittel füllt.

 

[7] Etwa auf ein mit Leder eingebundenes Buch.

 

[8] Man hat ein kleines, zylindrisches Gefäß von der Form eines Fingerhutes von Glas, Porzellan oder Silber — oder besser noch Platin —, mit einer feinen Öffnung am Boden, worein man die Streukügelchen tut, welche man arzneilich machen will; hierin befeuchtet man sie mit etwas von dem so dynamisierten arzneilichen Weingeist. Man läßt die Kügelchen sich vollsaugen, so daß die überschüssige Flüssigkeit durch die Öffnung im Boden abrinnt. Dann schüttet man das Zylinderchen auf Fließpapier aus, wo man die Kügelchen ausbreitet und rasch trocknen läßt.

 

[9] Man läßt sie unter seinen Augen vom Zuckerbäcker aus Stärkemehl und Rohrzucker verfertigen und die so verkleinten Streukügelchen mittels der nötigen Siebe zuerst von den allzu feinen, staubartigen Teilen befreien, dann aber durch einen Durchschlag geben, dessen Löcher n u r solche Kügelchen durchlassen, wovon 100 fünf Centigramm wiegen, — die brauchbarste Kleinheit für den Bedarf eines homöopathischen Arztes.

 

[10] Nach den bisher gegebenen Richtlinien wurde jede höhere Potenz durch Zugabe eines vollen Tropfens Flüssigkeit vom niedrem Potenzgrad zu 100 Tropfen Weingeist und nachheriges Schütteln hergestellt. Das Verhältnis Verdünnungsmedium zu Arzneistoff (100 :1) war bei solchem Vorgehen aber nicht optimal zur möglichst vollständigen Entwicklung der im Ausgangsstoff schlummernden Arzneikräfte, mochte man auch eine ganze Menge Schüttelschlage anwenden (nur durch äußerst starke Schüttelschläge war eine bessere Entwicklung der Arzneikräfte zu bemerken — s. u.), wie mich mühsame Versuche davon überzeugt haben. Nimmt man aber ein einziges solches Streukügelchen, wovon 100 Stück 5 cg wiegen, um es mit 100 Tropfen (Weingeist) zu dynamisieren, so wird das Verhältnis 1 : 50 000*), ja größer noch, indem 500 solcher Streukügelchen noch nicht völlig einen Tropfen zu ihrer Befeuchtung annehmen können.

*) Roh gesagt, genügt 1 Tropfen, um 500 Kügelchen vollkommen mit Arznei zu sättigen Jedes Kügelchen enthält deshalb 1/500 Tropfen. Wenn man e i n solches Kügelchen nachher in 1 Tropfen Wasser und 100 Tropfen 95°igem Alkohol auflöst, so hält ein Tropfen dieser höhern Verdünnung nun 1/50 000 des ursprünglichen Tropfens (l/500mal 1/100 = 1/50 000). Die Zahl 50 000 gibt also den Verdünnungsgrad pro Potenzstufe an. Darum nennen verschiedene neuere Autoren diese Potenzen denn auch 50 000er Potenzen, Quinquagintamillesimalpotenzen.

Bei diesem ungleich höhern Verhältnisse zwischen Arzneistoff und Verdünnungsmedium können  v i e l e Schüttelschläge des mit Weingeist bis zu 2/3 angefüllten Fläschchens eine bei weitem größere Kraft-Entwicklung hervorbringen. Werden aber bei einem so geringen Verdünnungsmedium wie 100 :1 der Arznei sehr viele Stöße mittels einer kräftigen Maschine gleichsam eingezwungen, so entstehen Arzneien, welche, vorzüglich in den höheren Dynamisationsgraden, fast augenblicklich, aber mit stürmischer, ja gefährlicher Heftigkeit, besonders auf den schwächlichen Kranken einwirken, ohne eine dauernde, gelinde Gegenwirkung des Lebensprinzips zur Folge zu haben. Die von mir angegebene Weise hingegen erzeugt Arznei von höchster Kraft-Entwicklung und gelindester Wirkung, die aber, wohl gewählt, alle kranken Punkte heilkräftig berührt*).

*) Nur in den sehr seltenen Fällen, wo bei schon fast völlig hergestellter Gesundheit und bei guter Lebenskraft dennoch ein altes, beschwerliches Lokalübel unverrückt fortdauert, ist es nicht nur erlaubt, sondern sogar  u n u m g ä n g l i c h nötig, die, sich dafür als homöopathisch hilfreich erwiesene Arznei, jedoch mittels vieler Hand-Schüttelschläge bis zu einem sehr hohen Grade potenziert, in steigenden Dosen einzugeben, worauf ein solches Lokalübel oft wunderbarer Weise sehr bald verschwindet (vgl. § 248).

Von diesen weit vollkommner dynamisierten Arzneibereitungen kann man in akuten Fiebern die kleinen Gaben von den niedrigsten Dynamisationsgraden, selbst der Arzneien von langdauernder Wirkung (z. B. Belladonna), auch in kurzen Zwischenräumen wiederholen, so wie in Behandlung chronischer Krankheiten am besten mit den niedrigsten Dynamisationsgraden den Anfang machen und — wo nötig — zu den höhern Graden übergehen, den immer kräftiger werdenden, obgleich stets nur gelind wirkenden.

 

[11] Man wird diese Behauptung nicht unwahrscheinlich finden, wenn man erwägt, daß bei dieser Dynamisationsweise (deren Präparate ich nach vielen mühsamen Versuchen und Gegenversuchen als die kräftigsten und zugleich mildest wirkenden, d. i. als die vollkommensten befunden habe) das Materielle der Arznei sich bei jedem Dynamisationsgrade um 50 000mal verringert und dennoch unglaublich an Kräftigkeit zunimmt, so daß die fernere Dynamisation der in 125 000 000 000 000 000 000 erst zur dritten Potenz, zum Kubikinhalt erhobenen Kardinale (50 000), wenn man letztere mit sich selbst multipliziert und so in stetiger Progression bis zum dreißigsten Grade der Dynamisation fortschreitet, einen Bruchteil gibt, der sich kaum mehr in Zahlen aussprechen lassen würde. Ungemein wahrscheinlich wird es hierdurch, daß die Materie mittels solcher Dynamisationen (Entwickelungen ihres wahren, innern, arzneilichen Wesens) sich zuletzt gänzlich in ihr individuelles geistartiges Wesen auflöse und daher in ihrem rohen Zustande eigentlich nur als aus diesem unentwickelten geistartigen Wesen bestehend betrachtet werden könne.

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